Frankreich: Linke liegen vorne – Premier Attal kündigt Rücktritt an

In Frankreich findet heute Sonntag der zweite Wahlgang der Législatives statt. Es zeichnet sich eine hohe Beteiligung ab. Erste Hochrechnungen liegen nun vor.

Freude beim Nouveau Front Populaire nach dem Wahlgang. (Archivbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Französinnen und Franzosen gehen am Sonntag wieder an die Urne.
  • Im zweiten Wahlgang entscheidet sich, wie die Nationalversammlung künftig aussieht.
  • Die Wahlbeteiligung erreicht hohe Werte, das linke Bündnis liegt vorne.

Am Sonntag sind viele Augen auf Frankreich gerichtet. Im westeuropäischen Land wird nämlich die Nationalversammlung neu gewählt. Präsident Emmanuel Macron hatte vor wenigen Wochen entschieden, das Parlament aufzulösen.

Erste Prognosen bezüglich der neuen Sitzverteilung in der 577-köpfigen Versammlung werden ab 20 Uhr erwartet. Dies, nachdem die letzten Lokale zu sind.

Linkes Bündnis schafft die Überraschung

Um 20 Uhr ist es dann so weit, auf dem TV-Sender «TF1» werden die ersten Schätzungen bekannt gegeben: Die Linken kommen mit ihrem Nouveau Front Populaire auf 180 bis 215 Sitze. 150 bis 180 Sitze sollen an die Macron-Anhänger gehen. Der rechte Rassemblement National von Marine Le Pen kommt lediglich auf 120 bis 150.

60 bis 65 Sitze gehen demnach an die Républicains und andere Rechte. Die restlichen Linken sollen 10 Sitze geholt haben. 5 bis 6 Sitze gehen aufs Konto von anderen Akteuren.

In einer späteren Prognose werden die Zahlen nach 21 Uhr nochmals etwas genauer: 188 bis 199 Sitze für das linke Bündnis, 164 bis 169 Sitze für die Macronisten, 63 für die Républicains und 135 bis 143 für den RN.

In einer ersten Reaktion zeigt sich Jean-Luc Mélenchon von der Partei La France insoumise, die innerhalb des linken Bündnisses die meisten Sitze holt, erfreut. Er fordert nun, dass sein linkes Bündnis die Regierung anführen darf. Der bisherige Premierminister Gabriel Attal müsse gehen.

Premier Attal kündigt Rücktritt an

Attal kündigt in einer Rede später tatsächlich an, dass er seinen Posten als Premier abgeben wird. Er werde morgen Montag seinen Rücktritt beim Präsidenten einreichen. Attal will jedoch so lange amtieren, wie es die Pflicht erfordere.

Macron kann Attal und die Regierung bitten, für die laufenden Geschäfte zunächst kommissarisch im Amt zu bleiben, bis die Mehrheit für eine neue Regierung steht. Auch mit Blick auf die Olympischen Spiele, die am 26. Juli in Paris beginnen, kann es sein, dass die Regierung von Attal noch einige Wochen im Amt bleibt.

Emmanuel Macron mit seinem Premier Gabriel Attal. - dpa

Macron hatte Attal im Januar zum Premierminister ernannt. Mit 34 Jahren wurde er der jüngste Premierminister in der jüngeren französischen Geschichte. Attal galt zwar als recht beliebt und hatte den Ruf, auch mit Vertretern anderer politischer Lager in der Sache diskutieren zu können. Dennoch konnte er die französische Regierung, die im Parlament unter Druck stand, nicht aus ihrer misslichen Lage befreien.

Die Regierungsbildung dürfte nun schwierig werden. Denn gemäss der ersten Hochrechnung kommt keine Partei auf eine absolute Mehrheit.

Emmanuel Macron prüft Regierungsoptionen

Nach dem überraschenden Ausgang der vorgezogenen Wahl nimmt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Regierungsbildung in den Blick. Bevor der Staatschef Entscheidungen treffe, werde er das Endergebnis der Wahl und die letztendliche Zusammensetzung der Nationalversammlung abwarten, teilte der Élysée-Palast mit.

«Der Präsident wird in seiner Rolle als Garant unserer Institutionen darauf achten, dass die souveräne Wahl der Franzosen respektiert wird», hiess es.

Wie der Sender BFMTV berichtete, hiess es mit Blick auf die für eine absolute Mehrheit nötige Zahl von Abgeordneten ausserdem aus dem Élysée-Palast. «Die Frage wird sein, ob eine Koalition mit Zusammenhalt gebildet werden kann, um die 289 Abgeordneten zu erreichen.»

RN-Chef: «Allianz der Schande»

Wenig später meldete sich auch Jordan Bardella, Präsident des Rassemblement National, zu Wort. Er kritisiert das Bündnis der Macronisten und der Linken scharf. Diese «Allianz der Schande» habe Frankreich in die Arme der Linksextremisten um Jean-Luc Mélenchon getrieben.

Bardella gibt sich kämpferisch. Der RN sei weiterhin die einzige Alternative zur «Einheitspartei» der Linken und Macronisten.

Links will regieren – aber kein Bündnis mit Macrons Mitte

Nach dem Überraschungssieg des Linksbündnisses bei der Parlamentswahl in Frankreich will der Chef der Sozialisten, Olivier Faure, kein Regierungsbündnis mit dem Mitte-Lager von Präsident Emmanuel Macron. Es solle keine «Koalition der Gegensätze» geben, die die Politik Macrons fortsetze, sagte Faure.

Frankreichs Grüne wollen nach dem voraussichtlichen Wahlsieg des neuen Linksbündnisses regieren. «Wir haben gewonnen und jetzt werden wir regieren», sagte Grünen-Generalsekretärin Marine Tondelier in Paris.

Bei einem Premier aus dem linken Lager müsste Macron die Macht teilen. Der Premier würde wichtiger. Was dies für Deutschland und Europa hiesse, ist unklar. Das Linksbündnis ist in sich gespalten und vertritt bei vielen grossen politischen Themen sehr unterschiedliche Positionen.

Sollte keines der Lager eine Regierungsmehrheit finden, könnte die aktuelle Regierung als Übergangsregierung im Amt bleiben oder eine Expertenregierung eingesetzt werden. Frankreich droht in einem solchen Szenario politischer Stillstand.

Hohe Wahlbeteiligung in Frankreich

Bereits jetzt ist klar, dass die Wahlbeteiligung in diesem Jahr hoch ausfällt. Gemäss dem französischen Innenministerium fällt diese 2024 deutlich höher aus als noch 2022. Um 12 Uhr waren es bereits 26,63 Prozent – verglichen mit 18,99 Prozent im Jahr 2022. Um 17 Uhr wurde dann eine Beteiligung von 59,71 Prozent gemeldet – 2022 waren es 38,11 Prozent.

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Schon im ersten Wahlgang vor einer Woche war die Wahlbeteiligung mit insgesamt 66,71 Prozent hoch. Ersten Schätzungen zufolge könnte dieser Wert im zweiten Wahlgang noch übertroffen werden.

Gemäss französischen Medienberichten ist Premierminister Gabriel Attal um 18.30 Uhr bei Emmanuel Macron im Élysée-Palast eingetroffen. Eine Rede des Präsidenten am Wahlabend war zunächst nicht geplant.

Weitere Reaktionen aufs Wahlresultat in Frankreich

Nach dem Überraschungserfolg des Linksbündnisses atmet das Internationale Auschwitz Komitee auf.

«Diese Wahlprognose ist für viele Menschen in Frankreich und vielen anderen Ländern eine ungeheure Erleichterung und ein ermutigendes Signal für Europa: Die Brandmauer der Demokratie gegenüber der extremen Rechten steht», erklärte Exekutiv-Vizepräsident Christoph Heubner in Berlin.

Positiv und fast schon poetisch äussert sich auch Polens Regierungschef Donald Tusk. Er schreibt auf X, vormals Twitter: «In Paris Enthusiasmus, in Moskau Enttäuschung, in Kiew Erleichterung. Genug, um in Warschau glücklich zu sein.»

Er spielt damit darauf an, dass die russische Regierung um Kremlchef Wladimir Putin wohl am liebsten einen Sieg des RN gesehen hätte.