Nach Knesset-Entscheidung: Warnungen in Israel vor «Bürgerkrieg»

Zehntausende Israelis demonstrieren gegen das vom Parlament verabschiedete Gesetz zur Schwächung der Justiz. Es wird von einer «ernsten Bedrohung» gesprochen.

Israels Knesset-Sprecher Yariv Levin (M) spricht zu Abgeordneten im israelischen Parlament in Jerusalem. (Archivbild) Foto: Maya Alleruzzo/AP/dpa - sda - Keystone/AP/Maya Alleruzzo

Das Wichtigste in Kürze

  • In Israel protestieren Menschen gegen das umstrittene Gesetz zur Schwächung der Justiz.
  • Zehntausende Israelis demonstrierten gegen das umstrittene Vorhaben der Regierung.
  • Mehrere Petitionen wurden beim Obersten Gericht eingereicht.

In Israel reissen nach einem Ja des Parlaments zur Schwächung der Justiz die Proteste nicht ab. Zehntausende Israelis versammelten sich in der Nacht auf Dienstag. Sie demonstrierten gegen das umstrittene Vorhaben der Regierung von Benjamin Netanjahu.

An mehreren Orten setzte die Polizei Wasserwerfer ein und zerrte Demonstrantinnen und Demonstranten von blockierten Fahrbahnen. Mindestens 32 Menschen wurden nach Angaben von Organisatoren landesweit verletzt, 19 davon mussten ins Krankenhaus. Dutzende wurden festgenommen.

Am Montag hatte Israels Parlament ein Gesetz verabschiedet, das die Handlungsmöglichkeiten des Obersten Gerichts einschränkt. Es ist Teil eines grösseren Pakets der Regierung, das von Kritikern als Gefahr für Israels Demokratie eingestuft wird. Die Koalition wirft der Justiz dagegen zu viel Einfluss auf politische Entscheidungen vor.

Widerstand könnte noch grösser werden

Israels früherer Ministerpräsident Ehud Olmert sprach von einer «ernsten Bedrohung». Die Regierung habe beschlossen, das Fundament der Demokratie zu untergraben.

Olmert sagte in einem Interview mit dem Sender «Channel 4 News»: «Und das ist nicht etwas, das wir akzeptieren oder tolerieren können.» So etwas habe es noch nie gegeben, warnte er. «Wir gehen in einen Bürgerkrieg.»

So sei es dem Obersten Gericht künftig nicht möglich, eine Entscheidung der Regierung oder einzelner Minister als «unangemessen» zu bewerten. Kritiker befürchten, dass dies Korruption und damit auch die willkürliche Besetzung wichtiger Posten oder aber Entlassungen begünstigen könnte. Dies betrifft Experten zufolge etwa auch die Posten der Generalstaatsanwältin oder des Polizeichefs.

Unterdessen erreichten das Oberste Gericht mehrere Petitionen gegen das frisch verabschiedete Gesetz: unter anderem von der Rechtsanwaltskammer, die mehr als 70'000 Anwälte vertritt. Die Kammer begründete die Petition damit, dass der Gesetzentwurf Teil einer umfassenderen Bemühung sei, das Rechtssystem grundlegend zu ändern. Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung könnten dann nicht mehr garantiert werden, hiess es Berichten zufolge in der Begründung.

Reaktion des Obersten Gerichts offen

Unklar war zunächst, wie das Oberste Gericht reagieren wird. Die Präsidentin Esther Chajut brach einen Besuch in Deutschland ab, um sich in Israel damit zu befassen. Medienberichten zufolge könnte die Prüfung der Petitionen jedoch mehrere Monate dauern.

Nach Angaben des Rechtsexperten Aejal Gross von der Universität Tel Aviv würde das Oberste Gericht komplett neues Terrain betreten. In Israel sei bisher noch nie ein Grundgesetz aufgehoben worden, nur reguläre Gesetze, die gegen das Grundgesetz verstossen, schreibt Gross. Der Staat Israel hat keine schriftliche Verfassung und fusst stattdessen auf einer Sammlung von Grundgesetzen.

Sollte das Gericht dennoch dagegen vorgehen, warnt Gross vor möglichen Konsequenzen. Dies könnte «zu einer regelrechten Verfassungskrise führen». Denkbar wäre demnach, dass das Gericht erst mal abwartet, bis die Regierung eine eigentlich «unangemessene» Entscheidung fällt und dann eingreift.

Der Abgeordnete und Vorsitzende des Justizausschusses, Simcha Rothman, machte bereits deutlich, dass die Regierung dies nicht akzeptieren werde.

Drohung vor Dienstverweigerung

Am Dienstag ging Gesundheitsminister Mosche Arbel gegen streikendes Personal im Gesundheitssektor vor. Die Ärztevereinigung hatte zuvor den 24-stündigen Warnstreik ausgerufen. In Teilen des Landes wechselte das Schichtsystem in den Feiertagsmodus, nur noch Notfälle wurden behandelt.

Das Arbeitsgericht forderte jedoch nach einer einstweiligen Verfügung des Gesundheitsministeriums den Stopp. Israels Dachverband der Gewerkschaften (Histadrut) kündigte unterdessen an, in den nächsten Tagen über einen möglichen Generalstreik beraten zu wollen.

Unklar waren zunächst die Auswirkungen der Abstimmung auf das Militär. Mehr als 10'000 Reservisten hatten angekündigt, nicht mehr zum Dienst zu erscheinen, sollte das Gesetz verabschiedet werden. Dies könnte die Einsatzfähigkeit in Teilen der Armee einschränken.