Feminismus und Islam könnten laut Wissenschaftler Hand in Hand gehen
Können Musliminnen feministisch sein? «Ja», sagt der Islamwissenschaftler. Konservative Rollenbilder seien im Islam teilweise nämlich eine neue Konstruktion.
Das Wichtigste in Kürze
- Der IZRS will darüber diskutieren, ob der Feminismus muslimische Ehen zerstört.
- Je nach Koran-Auslegung ist der Islam allerdings eine emanzipierte Religion.
- Traditionelle Rollenbilder seien in neuerer Zeit konstruiert worden, so der Experte.
Feminismus, Emanzipation und Gleichstellung sind Themen, die lange Diskussionen auszulösen vermögen. Ähnlich sieht es aus mit Migration, Islam und Muslimen. Nimmt man beide Bereiche zusammen, müsste eigentlich ein Pulverfass explodieren. Das zumindest mag sich der Islamische Zentralrat der Schweiz (IZRS) gedacht haben, als er für den kommenden Samstag eine Diskussionsrunde unter Muslimas in die Wege leitete. Thema: Feminismus.
«Ist es möglich Muslima und Feministin zu sein? Ist der Feminismus nicht eine unheimliche Doppelbelastung für die Frau? Zerstört der Feminismus unsere Ehen?» Diese Fragen beschäftigen aktuell den IZRS. Damit bedient der kleine Kreis von Muslimen rund um ihren Präsidenten Nicolas Blancho den im Westen gängigen Stereotyp vom patriarchalen, frauenverachtenden und rückschrittlichen Islam.
Der feministische Islam
Dabei liegen feministische Ideen dem Islam alles andere als fern. Warum, erklärt der Islamwissenschaftler Florian Zemmin von der Universität Bern. «Feminismus wurde im islamischen Kontext bereits Ende des 19. Jahrhunderts diskutiert. Besonders ägyptische Frauen gingen dann in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für ihre Rechte auf die Strasse», so Zemmin. Bekannt aus der Anfangszeit eines islamischen Feminismus sind vor allem die beiden Werke von Qasim Amin, «Die Befreiung der Frau» (1899) und «Die neue Frau» (1901).
Ob feministische Ideen Platz haben im Islam, hängt davon ab, wie der Koran interpretiert wird. «Als der Islam sich im 7. Jahrhundert zu verbreiten begann, brachte er für die arabischen Frauen eine Verbesserung», erklärt Zemmin. Kindstötung wurde verboten, Frauen bekamen einen Anteil am Erbe ihrer Eltern zugesichert. Den kleineren zwar, als ihre Brüder, aber immerhin Zudem wurde die Polygamie nur noch erlaubt, wenn der Mann gewährleisten konnte, alle Frauen gleich zu behandeln.
«Fortschrittliche Muslime gehen davon aus, dass mit dem Koran im 7. Jahrhundert kein ewig gültiges Gesetz, sondern ein Prinzip geschaffen wurde, das man ausbauen kann», erklärt Zemmin. «Das heisst: Dass den Frauen auch ein Teil am Erbe zusteht, kann heute so gedeutet werden, dass ihnen auch die gleiche Bildung, die gleichen Karrierechancen und der gleiche Lohn zusteht.» Dieser Auffassung sind laut Zemmin die meisten Muslime in der Schweiz.
Die konservative Koran-Interpretation
Doch die fortschrittliche Auslegung des Koran hat eine Kehrseite. Konservative Muslime argumentieren, dass der Prophet den Frauen bereits im 7. Jahrhundert alle Rechte gegeben habe, die sie brauchen. Würde man den Koran nicht wörtlich, sondern der Zeit angepasst deuten, könnte das die muslimische Gesellschaft auf den Kopf stellen. «Gott hat Mann und Frau gleich geschaffen, aber sie haben verschiedene Rollen. Der Mann muss Geld verdienen, die Frau den Haushalt besorgen. Das heisse aber nicht, dass die Frau weniger Wert habe», erklärt Zemmin die Argumentation der muslimischen Feminismus-Gegner.
Obwohl diese Interpretation nach alten, traditionellen Rollenbildern klingt, ist sie laut Zemmin ein Produkt neuerer Zeit. «Die konservative Position will vermeintlich klassische Geschlechterrollen verteidigen. Tatsächlich ist dieses Religionsverständnis aber ein stückweit konstruiert: Man ist überfordert mit dem Wandel der Zeit und zeichnet darum die Rollenbilder mit so starren Grenzen fest.»
«Eine eigentümliche Schnittmenge»
Die Auffassung, dass die Welt heiler und einfacher war, als Familienkonstellationen noch dem traditionellen Bild der liebenden Hausfrau und des fleissigen Brotverdieners entsprachen, findet man nun aber nicht unbedingt nur bei traditionalistisch veranlagten Muslimen. «Gerade auch jener Teil der Gesellschaft, der sich politisch eher rechts befindet und beispielsweise über Migranten oder Muslime schimpft, teilt hier die exakt gleiche Auffassung», sagt der Islamwissenschaftler und fügt an: «Da entsteht durchaus eine eigentümliche Schnittmenge.»
Dabei «vertritt der Islamische Zentralrat eine kleine Minderheit der Muslime in der Schweiz», so Zemmin. Die meisten Musliminnen und Muslime in der Schweiz würden die Gleichberechtigung der Geschlechter schon von ihrer eigenen Lebenserfahrung her befürworten. «Sie könnten sich dabei aber auch auf theologische Argumentationen stützen, etwa die Arbeiten der amerikanischen Professorin Amina Wadud», so Zemmin. Kurz: «Sowohl konservative als auch liberale gesellschaftliche Positionen können islamisch begründet werden, und in der Schweiz überwiegen sicherlich letztere.»