Wie viele Zürcher hatten 1910 eine Badewanne? Und bei wem ging das Licht bei Sonnenuntergang aus?
Vor 125 Jahren wurde Zürich zur ersten Grossstadt der Schweiz. Wie es sich damals an der Limmat lebte, zeigen die Listen und Berechnungen des ersten Stadtzürcher Statistikers. Er hat Badewannen und Glühbirnen, Gasherde und Waschküchen gezählt.
Das Wichtigste in Kürze
- Vor 125 Jahren wurde Zürich über Nacht zur Grossstadt: Elf Gemeinden wurden mit der Stadt zusammengelegt.
- So kam es, dass man sich 1893 einen ersten Statistiker leistete. Seine Zahlen zeigen das Leben in Zürich um 1910.
Am 1. Januar 1893 kam die Schweiz über Nacht zu ihrer ersten Grossstadt: Elf Nachbargemeinden schlossen sich mit Zürich zusammen und machten die Limmatstadt auf einen Schlag so einwohnerstark, wie kein anderer Ort der Eidgenossenschaft jemals war.
Die Stadtbevölkerung hatte sich über Nacht verfierfacht. Plötzlich also steigerte sich die Arbeit der Verwaltung in mondäne Höhen. Und was tat Zürich? Die Stadt stellte erstmal einen Statistiker an – irgendwer musste ja erfassen, was auf Zürcher Boden und in Zürcher Gemäuer überhaupt vor sich ging. Und wie viel davon es überhaupt gab.
Heinrich Thomann, der erste seiner Art
«Als ich mein Amt am 2. Januar 1893 antrat, bestand die ganze Ausstattung des Amtes aus einem Pult; nicht einmal eine Sitzgelegenheit war vorhanden», notierte Statistiker Dr. Heinrich Thomann über seinen ersten Arbeitstag. Nebel hing über der Stadt, als der erste seiner Art mit der Arbeit begann.
Einen Stuhl sollte Thomann bald bekommen, und auch die Luxusgüter Telefon und Schreibmaschine hielten Einzug im statistischen Amt zu Zürich. Und während die Moderne sich nach und nach etablierte, zählte Thomann an seinem Schreibtisch brav die Güter.
Fünf Personen pro Wohnung
Knapp 32'000 Wohnungen zählte Thomann auf dem Gebiet der neuen Grossstadt. Darin wohnten um die Jahrhundertwende durchschnittlich fünf Personen.
Heute, wo der Einzelne zwecks gelebter Individualität mehr Wohnraum für sich alleine beansprucht, kommen auf eine Zürcher Wohnung im Durchschnitt zwei bis drei Menschen. In der restlichen Schweiz ist der Durchschnitt noch tiefer. Da die Bevölkerung nicht nur mehr Platz beansprucht, sondern auch stark angewachsen ist, musste Wohnraum geschaffen werden.
125 Jahre nach Thomanns erster Statistik verfügt Zürich über sieben Mal mehr Wohnungen, als im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert.
Wie viele Badewannen gab es in Zürich?
Doch Thomann wollte nicht nur wissen, über wie viele Wohnungen seine Stadt verfügt. Er guckte auch hinein in die fremden vier Wände. Seine Statistik zur Wohnugnsausstattung von 1910 zeigt: Gerade mal ein Viertel aller Stadtwohnungen verfügten über ein eigenes Bad. Fünf Prozent der Wohnungen teilten sich ein einzelnes Bad. Die restlichen 70 Prozent aller Wohnungen verfügten über keinerlei hygienische Einrichtung. Da musste es der Nachttopf und das Wasser vom nächsten Brunnen tun.
Boiler, die die Haushalte mit Warmwasser versorgten, gab es in Zürich im Jahre 1910 keine. Wer warm baden wollte, musste das Wasser am Gasherd wärmen. Falls man denn in einer der Wohnungen wohnte, die überhaupt über einen Herd verfügten. Das waren laut Statistik 85 Prozent aller Wohnungen.
Elektrizität in Zürich? Fehlanzeige
Und apropos Wärme, auch geheizt wurde meist mit dem eigenen Kachelofen. Nur fünf Prozent der Wohnungen verfügten über den Luxus einer Zentralheizung. Doch wer jetzt denkt, früher war alles schlechter, dem sei gesagt: Der Mangel brachte auch Romantik: 60 Prozent aller Wohnungen wurden nämlich mit flackerndem Gaslicht beleuchtet. Erst in zehn Prozent der Wohnungen brannte eine Glühbirne. Die restlichen 30 Prozent der Wohnungen wurden dunkel, sobald die Sonne hinter dem Horizont versank. Dann flackerte noch maximal ein Talglichtchen auf dem Küchentisch.
«Übelste Wohnverhältnisse»
Kein Wunder, konstatierte die nationale «Wohnungsenquête» bereits 1896, in Zürich herrschten «übelste Wohnverhältnisse».
Doch bereits 20 Jahre später erschien alles in einem besseren – und elektrischen – Licht, Kochherde und Waschküchen hielten Einzug, die Badewannendichte schoss in die Höhe und der eine oder andere konnte sich gar über Zentralheizung und heisses Boilerwasser freuen.
Und nicht nur die Haushalte wurden komfortabel, Frau und Herr Zürcher reisten nun auch immer öfter per Automobil.
Diese historischen Statistiken macht Statistik Stadt Zürich zum 125-jährigen Bestehen des eigenen Grossstadt-Dienstes der breiten Öffentlichkeit zugänglich.