Kletterer ganz im Olympia-Hype
Als Klettern 2016 seine Olympia-Einladung bekam, stöhnte die Szene über das erfundene Kombi-Format. Puristen wollten sich den Dreikampf nicht antun. Drei Jahre später ist der Ärger weitgehend dem Hype gewichen. Bei der WM werden die ersten Olympia-Startplätze vergeben.
Das Wichtigste in Kürze
- Diesen Abstecher in die Berge hat Alexander Megos gebraucht.
Zwischen den Weltcups in Chamonix und Briançon baute der deutsche Weltklasse-Kletterer eine kurze Trainingseinheit am Felsen ein.
Nach unzähligen Stunden in dunklen Trainingshallen sehnte er sich nach echtem Stein. Für Olympia 2020 verzichtet Megos weitgehend auf seine grösste Leidenschaft und schindet sich an künstlichen Wänden. «Das ist der Kompromiss, den ich eingehe», sagte Megos der Deutschen Presse-Agentur. Mit der Entscheidung ist er momentan happy.
Ein Jahr vor der Olympia-Premiere der Sportart in Tokio haben der Hype und die Vorfreude die Bedenken in der Szene grossteils verdrängt. Am Wochenende beginnen in Hachioji nahe der japanischen Hauptstadt die Weltmeisterschaften, bei denen die ersten Tickets für die Sommerspiele im nächsten Jahr vergeben werden. «Alle sind unter Hochspannung», berichtete Bundestrainer Urs Stöcker der dpa.
Innerhalb von drei Jahren hat sich die Stimmung bei den Kletterern in Bezug auf Olympia grundlegend gewandelt. Bei der Bekanntgabe des Wettkampfformats 2016 herrschte noch Ernüchterung, weil Medaillen nur in einem neu eingeführten Kombinations-Dreikampf aus den Disziplinen Lead- also Seilklettern, Bouldern in Absprunghöhe und Speedklettern vergeben werden. Weil die technisch besten Athleten mit Speedklettern - wo eher die Wand hoch gesprungen als geklettert wird - kaum etwas anfangen konnten, überlegten Stars wie Megos oder der Tscheche Adam Ondra, ob sie überhaupt an den Sommerspielen teilnehmen wollen.
Sie entschieden sich dafür. «Mittlerweile haben sich alle gut mit Speed arrangiert», berichtete der WM-Dritte Jan Hojer, der neben Megos die besten deutschen Chancen auf eine Olympia-Teilnahme hat.
«Das ist das ultimative Ziel», sagt Ondra über die Sommerspiele. Die Athleten hoffen, sich und ihren Sport auf eine neue Bekanntheitsebene hieven zu können. Die Aufbruchstimmung ist spürbar, die Franzosen wollen die Sportart für 2024 in Paris im Programm behalten. «Für die Entwicklung des Klettersports ist das ein wichtiger Meilenstein», findet Wolfgang Wabel vom Deutschen Alpenverein (DAV) und Europa-Chef des Weltverbandes IFSC. «Unser Aufstieg geht weiter, neue Herausforderungen stehen an», sagte IFSC-Präsident Marco Solaris.
Als die Olympia-Ambitionen konkret wurden, gab es Sorgen, der von Freigeistern geprägte Sport könnte vom gigantischen Olympia-Apparat zerdrückt werden. Solche Bedenken kannte man auch von Snowboardern.
«Das Klettern ist mittlerweile urban geworden», sagte Bundestrainer Stöcker dazu jüngst der «Süddeutschen Zeitung» und zitierte Sir Chris Bonington, einen der grössten Bergsteiger der Geschichte. Bergsport sei eine Kathedrale, unter der alles Platz hat. «Schade ist, dass es einige gibt, die andere in dieser Kathedrale nicht ganz akzeptieren. Das kann ich nicht verstehen», meinte der Schweizer. Stöcker möchte Olympia als Bühne doppelt nutzen: um den Wettkampfsport zu pushen, aber auch um Nachhaltigkeit und Umweltschutz zu bewerben.
Der Sport stecke in den Kinderschuhen, sagte Stöcker. Professionelles Training gebe es erst seit gut sieben Jahren. In einem Interview mit kletterszene.com verglich er die Entwicklung des Wettkampfkletterns mit jener des 100-Meter-Sprint-Weltrekords, der aktuell bei 9,58 Sekunden liegt. Auf die Frage, ob die Kletterer in dem Vergleich schon unter zehn Sekunden stünden, antwortete er: «Nein, auf gar keinen Fall. Wahrscheinlich so auf den mittleren Zehnerzeiten.»
Mit Tokio 2020 und Paris 2024 will sich die Sportart der 10,0 nähern, um im Bild zu bleiben. Alexander Megos und Co. hoffen dann auch auf persönliche Erfolge - damit sich die aktuellen Entbehrungen lohnen.