Start der Snooker-WM: «Laborratten» in Sheffield
Bei der Snooker-WM in Sheffield will Judd Trump vom 31. Juli an seinen Titel verteidigen. Vor dem Turnier gibt es Ärger, weil erstmals auch wieder eine reduzierte Zahl von Zuschauern dabei sein darf. Daran stört sich unter anderem eine Snooker-Ikone.
Das Wichtigste in Kürze
- Ronnie O'Sullivan reicht es eigentlich schon zum Start der Snooker-Weltmeisterschaft.
Vor dem Turnier, das am 30. Juli verspätet beginnt, fühlt sich der ebenso geniale wie exzentrische Star an die Behandlung von «Laborratten» erinnert.
Denn die WM, die bis Mitte August dauert, findet als eines der ersten Sportevents seit Beginn der Coronavirus-Krise wieder vor Zuschauern statt. Sie gilt als Pilotprojekt für grössere Sportereignisse wie die Formel 1 oder den Fussballbetrieb in der englischen Premier League. «Irgendwo muss man ja anfangen», ätzte der fünfmalige Weltmeister O'Sullivan, «dann fängt man eben mit den Snooker-Spielern an.»
Rund 300 Zuschauer sollen im Crucible-Theater von Sheffield dabei sein, wenn Titelverteidiger Judd Trump zum Auftakt auf seinen englischen Landsmann Tom Ford trifft. Die WM sollte ursprünglich von April bis Mai ausgetragen werden. Dass sie nun als erstes Indoor-Sportereignis in Grossbritannien vor Publikum stattfindet, sei «ein fantastischer Triumph», erklärten die Macher. Doch einige Spieler sehen das anders.
Anthony Hamilton, der sich zum ersten Mal seit zwölf Jahren wieder für die Endrunde qualifiziert hat, ist sogar richtig sauer. «Wenn nur ein Mensch im Crucible krank wird und dann stirbt - dann ist es ein Mensch, der ohne jeglichen Grund gestorben ist, nur für die Unterhaltung», schimpfte Hamilton. Als Asthmatiker gehöre er selbst zur Risikogruppe, sagte der 49-Jährige. «Ich finde das lächerlich.»
Rückendeckung bekam er von O'Sullivan. «Einen Anthony Hamilton kostet die Versicherung weniger als einen Lewis Hamilton», sagte «The Rocket» sarkastisch. Vorher hatte sich O'Sullivan schon beim Sender BBC gegen Zuschauer ausgesprochen. «Im Moment reicht es aus, dass Sport im Fernsehen gezeigt wird», sagte er. Der Weltverband verwies hingegen auf die Regierungsvorgaben und hohe Sicherheitsvorkehrungen.
«Ich glaube nicht, dass es das Risiko wert ist», legte O'Sullivan nun nach. «Vielleicht hätte ich bei 5000 Fans einsehen können, dass sonst zu viele Einnahmen verloren gehen, aber bei 200 Fans, lohnt sich das echt?» Der 44-Jährige behielt sich vor, aus dem Turnier auszusteigen, falls er sich vor Ort unbehaglich fühle.
Doch das ist auch eine Geldfrage. «Auf die Weltmeisterschaft will man nicht verzichten, das tut weh», erklärt Eurosport-Moderator und Snooker-Experte Rolf Kalb. «Die WM ist das Turnier mit dem höchsten Preisgeld. Und wenn man dann eine gute WM spielt, dann ist man finanziell auch gerettet.» Kalb gilt seit Jahren als deutsche Stimme des Snooker und wird auch diese WM bei Eurosport kommentieren.
Nach dem Auftaktduell von Trump gegen Ford steigt O'Sullivan, der den Titel zuletzt 2013 gewann, am Sonntag gegen den Thailänder Thepchaiya Un-Nooh ins Turnier ein. Als Sechster der Weltrangliste könnte er nicht vor dem Endspiel auf die Nummer eins Trump treffen. Als erster Deutscher leitet Marcel Eckardt das Finale. Der 30-Jährige ist damit auch der jüngste Final-Schiedsrichter der Snooker-Geschichte.
Trump hatte im Vorjahr nach einer brillanten Leistung gegen den viermaligen Weltmeister John Higgins erstmals eine WM gewonnen. Sowohl Higgins als auch O'Sullivan sagten ihm danach eine Ära voraus. Sollte der 30-Jährige seinen Titel im Crucible verteidigen, wäre das eine Premiere. Noch keinem Snooker-Profi gelang dieses Kunststück auf Anhieb. «Ich glaube, er hat da durchaus auch gute Chancen», meint Snooker-Experte Kalb. Trump habe den Ehrgeiz und das Ziel, aber: «Er darf sich nicht zu sehr unter Druck setzen.»
Die Corona-Krise könnte dabei womöglich auch sportliche Auswirkungen haben, weil die gesetzten Snooker-Stars durch die WM-Verschiebung zuletzt keine Spielpraxis hatten. «Keiner der Spieler hat bisher Erfahrung damit sammeln können, wie er mit solch einer langen Pause umgehen kann, wie er es schafft, einerseits spielerisch, vor allem aber auch mental bereit zu sein», sagt Kalb. «Die meisten kommen nach Sheffield und wissen noch gar nicht, wo sie überhaupt stehen.»