Union Berlin wähnt sich in Hollywood
Hollywood in Köpenick. Nach der Europapokal-Qualifikation fühlt sich Union Berlins Trainer Urs Fischer wie in der Film-Traumfabrik.
Das Wichtigste in Kürze
- Union Berlin qualifiziert sich für den Europacup.
- Mit dem Schweizer Trainer Urs Fischer sorgen die Eisernen für einen historischen Erfolg.
Nur ein Abendessen mit dem Papa und vielleicht auch eine Shisha-Pfeife wollte Union Berlins Europa-Garant geniessen.
Dabei hatte der «achtarmige» Torwart Andreas Luthe dem Lebemann gerade einen Freifahrtschein für alle denkbaren Extravaganzen erteilt. Schon auf dem Feier-Balkon der Eisernen am Stadion an der Alten Försterei war Kruse vor mehr als 1000 euphorisierten Fans dann dabei und freute sich auch über die anstehende Teilnahme an der von ihm ungeliebten Conference League.
«Union international», lautete Kruses Kommentar zum obligatorischen Feier-Foto bei Instagram vor einer langen Köpenicker Nacht, die am Sonntag mit einem letzten Team-Frühstück vor dem Sommerurlaub enden sollte. Platz sieben weit vor dem Lokalrivalen Hertha BSC, 16 Heimspiele in Serie ungeschlagen, weniger Gegentore als der FC Bayern, weniger Niederlagen als Borussia Dortmund, lauten nur einige der erstaunlichen Eckdaten einer famosen Spielzeit.
«Es ist Weltklasse, dass wir uns so belohnen für eine herausragende Saison», sagte Kruse. Die Symbolfigur für die fabelhafte Reise Richtung Fussball-Kontinent war der 33-Jährige selbst - gekrönt von seinem Siegtreffer zum 2:1 in der Nachspielzeit gegen RB Leipzig, der die erste eiserne Europapokal-Qualifikation nach 20 Jahren möglich machte.
Union und Kruse, Kruse und Union. Das schien in beide Richtungen ein gewagtes Experiment, wenn nicht ein Ding der Unmöglichkeit. Da der imagebeladene Prinzipien-Club aus Ost-Berlin, dort Freigeist und schlampiges Genie mit Hang zu klarer Meinungsäusserung in der Social-Media-Blase. Doch es funktionierte.
Dass Kruse nebenbei feierte oder über Radarfallen im Stadtverkehr oder ihm zu unfreundliche Luxus-Autohändler moserte? Geschenkt. Kruse bekam die lange Berliner Leine und lieferte. Elf Tore, fünf Assists, wurde trotz anfänglichen Fitness-Problemen und langer Verletzungspause im Winter Top-Scorer und unermüdlicher Antreiber.
«Das ist der verrückteste Typ, den ich jemals kennengelernt habe im Profifussball. Aber er hat uns heute wieder den Arsch gerettet», sagte Luthe. «Ich gönne ihm wirklich alles, was er drumherum macht», sagte der Schlussmann, dem Trainer Urs Fischer bescheinigte, gegen Leipzig «acht Arme im Spiel» gehabt zu haben.
Und seinem Matchwinner Kruse wollte Fischer, der sich selbst wie in einem Hollywood-Streifen fühlte, mal ordentlich «auf's Brot schmieren», dass das mit der Conference League Realität ist. «Null Bock» verspürte Kruse kürzlich auf den neu geschaffenen dritten Europacup.
Mit dem VfL Wolfsburg hatte er einst in der Champions League gespielt, mit Borussia Mönchengladbach immerhin Europa League. «Ich bleibe bei meiner Meinung. Aber ich werde immer alles tun, damit wir Spiele gewinnen», sagte er nun über den drittklassigen Cup.
In seiner sachlichen Art wird Fischer Kruse den Wettbewerb, über den auch viele Halbwahrheiten durch die Fussball-Welt geistern, vielleicht nochmals erklären. Keineswegs, wie oft behauptet, wird die Saisonvorbereitung der Eisernen gestört. Erst am 19. und 26. August steht die für alle obligatorische Playoff-Runde an, also nach dem Saisonstart in der Bundesliga Mitte August. Auch Kruse wird Zeit für ausreichend Urlaub haben.
Wie Union mit der Belastung im Donnerstag-Sonntag-Rhythmus dann umgeht, ist eine spannende Frage. Ungeklärt ist auch noch, wie viele Zuschauer bei Heimspielen dabei sein dürfen. Die UEFA erlaubt nur Sitzplätze. Dann wären es unabhängig von Corona nicht viel mehr als die 2000 gegen Leipzig.
Das 32er-Feld besteht in der Gruppenphase auch nicht nur aus No-Name-Teams aus Ost-Europa, wie Conference-Gegner gerne ätzen. Die AS Rom, Feyenoord Rotterdam, Tottenham Hotspur oder der FC Arsenal gehörten zu den klangvollen möglichen Kandidaten. Sicher dabei sind der FC Villarreal aus Spanien und der FC Basel, der frühere Verein von Trainer Fischer.