Experte warnt dringend vor Opioid Krise in der Schweiz
Schweizer Ärzte verschreiben bis zu 270 Prozent mehr starke Opioide. Diese Medikamente gehören zur gleichen Substanz-Gruppe wie Heroin.
Das Wichtigste in Kürze
- Studien belegen, dass Opioid-Schmerzmittel das Schmerzempfinden langfristig verstärken.
- Opioide lösen im Gehirn einen Lernprozess aus, der in die Abhängigkeit führen kann.
- Zwischen 2003 und 2015 verschrieben Ärzte doppelt so viele Opioide.
«Wir haben in der Schweiz eine Opioid-Krise», sagt der Arzt Massimo Fumagalli. Opioide – das sind künstlich hergestellte, psychoaktive Substanzen, die unter anderem betäubend und schmerzlindernd wirken. Das bekannteste, halb-künstliche Opioid ist Heroin.
Zwischen 2006 und 2013 hat sich die Anzahl der Verschreibungen solcher Opioide in der Schweiz verdoppelt. Diese Zahlen stammen nicht von der Drogenfandung. Erhoben hat sie ein Ärzte-Duo aus Basel. «Am meisten hat die Verschreibung starker Opioide in den Kantonen Jura (+260 Prozent) und Freiburg (+270 Prozent) zugenommen», schreiben die Schmerzspezialisten Tobias Schneider und Wilhelm Ruppen.
Tausende Todesopfer
«Opioide werden vor allem bei Krebspatienten als Schmerztherapie verwendet. Immer mehr verschreiben Ärzte sie allerdings auch bei akuten und chronischen Schmerzen», erklärt Fumagalli. Eine Opioid-Therapie bei chronischen Schmerzen aber bedeutet, dass die abhängig machenden Medikamente über sehr lange Zeit hinweg regelmässig eingenommen werden.
In den USA wird die Rede von der Opioid-Krise längst mit tausenden von Todesopfern unterstrichen. In der Schweiz ging man bisher weder von einem Drogen-, noch von einem Medikamentenproblem aus. Ein Bericht der Universität Basel aber spricht eine andere Sprache.
Abhängigkeit wie bei Heroin
Auch wenn medizinische Opioide zu therapeutischen Zwecken, unter ärztlicher Überwachung und Anleitung abgegeben werden, gehören sie doch derselben Substanzen-Familie an, wie das bekannte und gefürchtete Heroin. Entsprechend wirken sie im Gehirn auch an derselben Stelle, wo sie «Schmerzlinderung und Euphorie» auslösen, wie Ruppen und Schneider schreiben.
Zudem lerne das Gehirn äusserst zügig, «Opioid-Einnahme» mit «gebesserter Stimmung» zu verknüpfen. «Dieser Lerneffekt ist umso grösser, je schneller die Opioide im Hirn anfluten», so die Forscher. Dieser Lerneffekt ist vielen besser bekannt unter dem Namen Sucht. «So erstaunt es kaum, dass US-Forscher herausfanden, dass die zwei wichtigsten Quellen für süchtigen Opiumkonsum Ärzte und Strassen-Dealer sind», schreiben Ruppen und Schneider.
Opioide verstärken den Schmerz
«Diverse internationale Studien konnten zeigen, dass eine Schmerztherapie mit Opioiden zwar kurzfristig den Schmerz lindert, den Körper langfristig aber anfälliger darauf macht. So können Opioide dazu führen, dass der Schmerz chronisch wird», sagt Fumagalli.
Die Folge: Mehr und stärkere Opioide, um dem neuen Schmerz Herr zu werden. Ein Teufelskreis beginnt.
«Eine Befragung unter amerikanischen Patienten hat gezeigt, dass 70 Prozent der Schmerzpatienten, die über lange Zeit mit Opiaten behandelt wurden, kaum oder gar nicht mehr arbeitsfähig waren», so Fumagalli weiter. Auf das Ergebnis kommen auch die Verfasser der Basler Studie zu sprechen. Die Zahlen erstaunen sie nicht, denn die Forschung zeige, «dass die Funktionalität unter Opioiden abnimmt und der psychische Stress zunimmt.»
Akupunktur als Alternative?
Fumagalli, Gründer und ärztlicher Leiter der Sinomedica Zentren, sieht als mögliche Alternative zu den Opioiden die Akupunktur. «In den USA setzen bereits 87 Prozent der Spitäler, die Krebs behandeln, auf Akupunktur», erklärt der Arzt. «Schmerztherapien und auch Anästhesien sind damit ohne Nebenwirkungen möglich. Aber es braucht mehr Zeit.»