Schweiz: Alte gehen zu früh ins Pflegeheim

Nadine Brügger
Nadine Brügger

Zürich,

Den Lebensabend daheim verbringen – davon träumen viele Senioren. Zudem kostet ein Bett im Heim viel mehr als ambulante Pflege und Betreuung zu Hause. Trotzdem gehen rund 30 Prozent der alten Menschen ins Pflegeheim, bevor das tatsächlich nötig wäre. Warum?

Nicht alle Menschen, die im Pflege- oder Altersheim leben, haben diese Pflege und Betreuung tatsächlich nötig.
Nicht alle Menschen, die im Pflege- oder Altersheim leben, haben diese Pflege und Betreuung tatsächlich nötig. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • 30 Prozent der Bewohner unserer Alters- und Pflegeheime könnten noch zu Hause wohnen.
  • Ins Heim gehen sie, weil der Kanton hier die Kosten übernimmt, während ambulante Pflege oft selber berappt werden muss.
  • Soziologie-Professor fordert darum: «Jetzt muss eine politische Lösung her.»

Bis 2040 wird sich die Zahl der über 80-Jährigen in der Schweiz mehr als verdoppeln. Damit dürfte auch die Zahl der Pflegebedürftigen um 60 Prozent steigen. Laut einer Studie der Credit Suisse werden dann 30'000 weitere Betten in Alters- und Pflegeheimen nötig. Gleichzeitig fehlt es an Pflegepersonal. Was tun?

Das scheinbar unlösbare Problem könnte eine einfach Lösung bekommen: «Zwischen 25 und 30 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner unserer Altersheime könnten eigentlich noch daheim leben», erklärt Carlo Knöpfel, Professor für Sozialpolitik an der Fachhochschule Nordwestschweiz.

«Arme gehen ins Heim»

Stationäre Alterspflege ist teuer: Ein Heimplatz kostet normalerweise zwischen 6000 und 8000 Franken. Zudem ist es für viele Senioren ein Herzenswunsch, den Lebensabend in den eigenen vier Wänden zu verbringen. Warum also gehen sie zu früh ins Heim?

Alte Menschen
Die Föderation wird ihre Arbeit für Menschen mit Unterstützungsbedarf im Altersbereich beginnen. - Keystone

«Es kommt vor, dass ältere Menschen aus finanziellen Gründen zu früh ins Heim gehen», erklärt Lukas Loher, Leiter Fachbereiche bei Pro Senectute Schweiz. «Unterstützung daheim müssen sie in der Regel selber zahlen, die Kosten im Heim übernimmt je nach Einkommen zu einem grossen Teil die Ergänzungsleistung.»

Betreutes Wohnen wäre optimal

70 Prozent aller Unterstützungsleistungen betreffen nicht die Pflege, sondern die Betreuung. «Dazu gehören Mahlzeiten-, Fahr-, Putz- oder Administrationshilfen, aber auch Unterstützung beim Ankleiden oder einfach die Verfügbarkeit als Gesprächspartner», erklärt Loher. Oft erledigen das Angehörige oder Nachbarn. Werden alte Menschen bei diesen Aufgaben unterstützt, können sie oft sehr lange weiter daheim wohnen. Und selbst wenn die Arbeit nicht vom engeren Umfeld, sondern von Drittpersonen erledigt wird, bleibt sie unter dem Strich günstiger, als ein Platz im Heim. Das besagt auch eine neue Studie von Professor Knöpfel.

Vielen alten Menschen fehlt es nicht an Pflege, sondern an Betreuung: Essen kochen, Putzen, Administratives erledigen oder Transporte organisieren.
Vielen alten Menschen fehlt es nicht an Pflege, sondern an Betreuung: Essen kochen, Putzen, Administratives erledigen oder Transporte organisieren. - keystone

Doch warum übernimmt der Staat die hohen Heimkosten, nicht aber die geringeren ambulanten Pflegekosten?

«Der Bund zahlt Ergänzungsleistungen für die Betreuung und Pflege daheim. Die Kantone beteiligen sich an den Kosten für das Pflegeheim, wenn die betroffene Familie diese nicht selber tragen kann», erklärt Knöpfel. «Betreutes Wohnen wäre oft die beste und günstigste Lösung. Aber da fühlt sich keiner verantwortlich», so der Soziologe. «Die Kantone schieben es auf den Bund und umgekehrt. Da muss eine politische Lösung her», fordert Knöpfel.

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