«Pulver gut» in Engelberg
Magische Gletscherfelder und steile Felsrinnen: Engelberg-Titlis ist als Freeride-Gebiet weltbekannt – insbesondere dank den «Big Five».
Das Wichtigste in Kürze
- Das einst stille Klosterdorf Engelberg südlich von Luzern ist heute international bekannt als Eldorado für Freerider.
- Adrenalinschübe sind im hochalpinen Gelände, das viel Platz für Spuren bietet, garantiert.
«Es ist eine Mischung aus Freiheit, Schwerelosigkeit, Glück und Adrenalin», beschreibt Svetlana das Gefühl, das sie beim Freeriden verspürt. Die 32-Jährige stand bereits als Jugendliche auf «möglichst breiten Skiern», die ihr den nötigen Auftrieb verleihen, um schöne Schwünge im wolkigen Tiefschnee zu ziehen. An diesem Wintermorgen wagt sie sich zum ersten Mal auf die «Steinberg»-Route am Titlis. Begleitet wird sie von einem lokalen Bergführer, der das Gebiet kennt und weiss, wo die gefährlichen Felsabgründe und Gletscherspalten lauern. Die abwechslungsreiche Route durch das freie Gelände führt vom Gipfel auf 3020 Metern über Meer zum Trübsee (1764 m ü.M.) durch enge Couloirs und über weite Tiefschneefelder.
Das einst stille Klosterdorf Engelberg südlich von Luzern ist heute international bekannt als Eldorado für Freerider. Das Skigebiet liegt weniger als zwei Fahrstunden vom Flughafen Zürich entfernt und gilt als besonders schneesicher: «Beim Titlis handelt es sich um die erste Erhebung der Alpen, dadurch staut sich das Tief und wir sind oft mit viel Schneefall gesegnet», so Frédéric Füssenich, Direktor von Engelberg-Titlis Tourismus. Die Skisaison dauert hier in der Regel denn auch ganze sieben Monate – von Oktober bis Mai.
Skandinavier lieben Engelberg
Die Gletscherabfahrt am Steinberg, die sich Svetlana vorgenommen hat, zählt in der Freeride-Szene zu den «Big Five» – zusammen mit den Varianten Steintäli, Sulzli, Laub und Galtiberg. Alle fünf sind von der Bergstation Titlis aus erreichbar, ohne die Skier abschnallen oder laufen zu müssen. Die Abfahrten bieten neben technischen Herausforderungen eine unvergessliche Naturkulisse: Blau schimmernde Gletscherfelder, dramatische Felsschluchten und steil abfallende Pulverschneehänge lassen die Herzen von Freeskiern und Snowboardern aus der ganzen Welt höherschlagen.
Auffällig oft trifft man im Hochtal auf Skandinavier, denn diese haben das Tiefschnee-Paradies bereits Ende der 90er-Jahre für sich entdeckt: Damals zeigte ein einheimischer Bergführer einer Gruppe aus Schweden die «Big Five», und die Gäste waren beeindruckt. «Off-piste-Abfahrten mit bis zu 2000 Metern Höhendifferenz kannten wir nicht», so Johan Andersson vom Tour Operator Alpine Legends, welcher Reise damals organisierte. In der Folge zog es Filmcrews und Fotografen aus dem hohen Norden in das Obwaldner Bergdorf, das heute bei den Schweden als Nummer 1 der Feriendestination in der Schweiz gilt.
Kenntnisse in Lawinenkunden werden vorausgesetzt
Besonders beliebt in der Community ist «das Laub»: Der breite Hang hat unterdessen Kultstatus erreicht – nicht nur bei den Gästen aus dem hohen Norden. Bei der Abfahrt handelt es sich um Europas längste Freeride-Strecke mit mehr als 1000 Metern Höhendifferenz und einem konstanten Gefälle zwischen 35 und 45 Grad. Adrenalinschübe sind im hochalpinen Gelände, das viel Platz für Spuren bietet, garantiert. Allerdings herrscht im «Laub» (altes Wort für Lawine) oft erhebliche Schneebrett-Gefahr: Der Hang darf nur befahren werden, nachdem ausgebildete Bergführer die Stabilität des Schnees getestet haben.
Das gilt generell für alle Off-piste-Abfahrten im Gebiet: «Es ist uns wichtig, dass jeder, der die markierten Pisten verlässt, die Gefahren erkennt und einschätzen kann», so Kurdirektor Füssenich. Grundvoraussetzungen für das Fahren im freien Gelände sind das sichere Beherrschen des Tiefschneefahrens, Kenntnisse in Sachen Lawinenkunde und der Umgang mit der nötigen Ausrüstung (Airbag, Lawinenverschütteten-Suchgerät, Schaufel, Sonde). Weshalb so viele Freerider das Risiko am Berg in Kauf nehmen? «Alleine im freien Gelände mit der Natur verbunden zu sein», schwärmt Svetlana mit einem breiten Grinsen im Gesicht, «ist ein Gefühl, das absolut süchtig macht».