Alle gegen einen: US-Demokraten knöpfen sich Biden vor

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USA,

In den vergangenen Monaten hielten sich die Demokraten in ihrem Vor-Rennen für die Präsidentschaftskandidatur mit gegenseitigen Attacken zurück. Nun aber wird es ungemütlich. Ziel der Angriffe ist vor allem einer. Der interne Konfrontationskurs ist ein Balanceakt.

Joe Biden und Kamala Harris sprechen während der zweiten TV-Debatte der Demokraten in Detroit. Foto: Paul Sancya/AP
Joe Biden und Kamala Harris sprechen während der zweiten TV-Debatte der Demokraten in Detroit. Foto: Paul Sancya/AP - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Als Joe Biden seine Kontrahentin Kamala Harris in Detroit auf der Bühne begrüsst, sagt er: «Sei nicht zu streng mit mir, Kleines.»

Wie bitte? Ende Juni trafen der Ex-US-Vizepräsident und die kalifornische Senatorin schon einmal bei einer Fernsehdebatte der demokratischen Präsidentschaftsbewerber aufeinander. Die 54-Jährige setzte Biden dort, in Miami, ziemlich zu. Nun also die zweite Debattenrunde in Detroit, quasi eine Revanche im Duell Biden versus Harris. Doch Bidens eigenwillig formulierte Bitte verhallt ungehört. Harris legt an diesem Abend nach, und die übrigen Mitbewerber tun es ihr gleich. Biden hat sehr zu kämpfen. Die Zeit der Zurückhaltung im Demokraten-Rennen um die Präsidentschaftskandidatur für 2020 ist vorbei.

Mehr als 20 Demokraten wollen bei der Wahl im kommenden Jahr als Herausforderer gegen Amtsinhaber Donald Trump antreten. Biden ist der prominenteste von ihnen und führt die Umfragen seit Wochen an. Der 76-Jährige hat eine jahrzehntelange politische Karriere hinter sich. Mehr als 35 Jahre sass er im US-Senat, von 2009 bis 2017 war er Stellvertreter des damaligen US-Präsidenten Barack Obama. Diese Vergangenheit holt ihn nun ein.

Bei der TV-Debatte in Detroit hauen ihm Harris und die anderen Konkurrenten an diesem Abend alle möglichen Dinge um die Ohren: Entscheidungen aus der Obama-Regierungszeit, wie die massenhaften Abschiebungen illegaler Migranten, sein Ja zum Irak-Krieg, frühere Aussagen zur Gleichstellung von Frauen oder zur Integration von Schwarzen. Hinzu kommt Kritik an aktuellen Konzepten der Biden-Kampagne.

Harris greift gleich zu Beginn offensiv Bidens Gesundheitskonzept an. Zeitweise versucht sie, die Debatte zu einem Zweikampf umzufunktionieren. Doch die übrigen Konkurrenten kämpfen mit. New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio und der frühere Wohnungsbauminister unter Obama, Julian Castro, knöpfen sich Biden wegen der damaligen Massenabschiebungen vor. Cory Booker, Senator aus New Jersey, attackiert Biden beim Thema Justizreform, die New Yorker Senatorin Kirsten Gillibrand geht ihn beim Thema Gleichstellung an.

Mal reagiert Biden mit Gegenattacken. So hält er etwa Castro vor, er könne sich nicht erinnern, dass dieser seine Einwände damals während der gemeinsamen Regierungszeit vorgebracht habe. Mal probiert Biden, mit Attacken gegen Trump die Aufmerksamkeit umzuleiten. Und mal versucht er schlicht, sich aus der Verantwortung zu stehlen («Ich war Vizepräsident, nicht Präsident»).

Auch Harris, die in Umfragen unter den Top-Fünf der demokratischen Präsidentschaftsanwärter rangiert, wird an diesem Abend zum Ziel einzelner Attacken, muss ihr eigenes Gesundheitskonzept verteidigen und sich unbequemen Fragen zu ihrer früheren Arbeit als Staatsanwältin in Kalifornien gefallen lassen. Doch hauptsächlich richten sich die Angriffe gegen den bisherigen Favoriten Biden.

In Detroit geht es um viel. Für mehrere Demokraten ist dies die letzte grosse TV-Debatte im laufenden Rennen. Für die dritte Runde in Texas im September sind die Teilnahmevoraussetzungen strenger - also die Mindestwerte, die sie bei Umfragen und Spenden vorweisen müssen. Erwartet wird, dass bei der Debatte in Texas nur noch etwa halb so viele Demokraten antreten werden. Für einige ist der Abend in Detroit also die letzte Chance, vor einem nationalen Publikum Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und die eigenen Umfragewerte anzukurbeln. Diese Not scheint die Angriffslust zu befeuern.

Ohne Risiko ist der Attacken-Modus nicht. Der Politologe Aaron Kall sagt, es sei eine Gratwanderung für die anderen Kandidaten, Biden anzugreifen. Sie müssten zwar Profil gewinnen. Wähler seien aber schnell abgestossen durch zu heftige interne Auseidersetzungen. Auch Biden selbst müsse die richtige Balance finden, um nicht als schwach wahrgenommen zu werden, aber auch nicht als zu bissig.

Das gelingt ihm nur bedingt. Biden wirkt teils überfordert von den Stakkato-Attacken seiner Parteikollegen. Mehrfach verhaspelt er sich. Unter anderem im Abschluss-Statement, beim Aufsagen der Kontaktadresse seiner Kampagne.

Nach der Debatte gehen die Kämpfe weiter. Die Kandidaten und ihre sogenannten Spin-Doktoren schwärmen aus, um sich die Deutungshoheit zu sichern. Im «Spin Room» nebenan drängeln sie sich durch Massen von Hunderten Journalisten, um die Dinge in ihrem Sinne zu interpretieren - mit ihrem Spin also. Helfer halten grosse Schilder mit den Namen der Kandidaten in die Höhe, um im Gewimmel anzuzeigen, wer wo ist. Die Kandidaten schieben sich von Mikro zu Mikro, während sich die Berater bemühen, ihren jeweiligen Kandidaten zum Sieger zu erklären.

De Blasio erklärt hier, umringt von Kameras und Reportern, er habe Respekt für Biden. «Aber im Moment sehe ich nicht, dass er die Dinge sagt oder tut, die aus meiner Sicht nötig sind, um die Wahl zu gewinnen, oder die meinen Werten entsprechen.» Ein paar Meter weiter ätzt ein Berater von Harris über Biden: «Bei allem nötigen Respekt: Er ist der Aufgabe einfach nicht gewachsen.» Und im Übrigen sei Bidens Kommentar zu Harris' Begrüssung «hochgradig unangemessen» gewesen. Der Ex-Vizepräsident selbst taucht nicht auf.

Die Demokraten ringen nicht nur um den Kandidaten, sondern auch um die inhaltliche Strategie, um Trump aus dem Weissen Haus zu vertreiben: mit eher linken, revoluzzerhaften Ansätzen - als Kontrapunkt zu Trump - oder eher mit moderaten Botschaften, um möglichst breite Teile der Gesellschaft anzusprechen? Die Partei ist in der Frage gespalten. Auch diese Richtungskämpfe tragen die Demokraten in Detroit auf offener Bühne aus. Der Politologe Kall meint, es werde viel Arbeit sein, die Partei wieder zu vereinen - egal welcher Kandidat am Ende das Rennen mache.

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