US-Ikonen unter sich: Der «Boss» und sein Freund Barack in Buchform
Zwei Männer hinter Mikrofonen, der eine mit Gitarre, der andere ganz lässig mit übereinander geschlagenen Beinen in einen Bürostuhl gelehnt. Sie lächeln sich an, man spürt die gemeinsame Wellenlänge. Das eindrucksvolle Bild ist eines der ersten von Hunderten in «Renegades. Born in the USA» (ab 26. Oktober), dem Buch von Ex-Präsident Barack Obama (60) und Rock-Superstar Bruce Springsteen (72), dessen berühmter Song den Untertitel liefert.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Prachtband ergänzt einen im Frühjahr präsentierten Podcast der beiden US-Idole.
Das Freundschaftsprojekt «Renegades» (übersetzt: Abtrünnige) ist fest verbunden mit einem Zitat-Klassiker: «I’m the President, but he’s The Boss», sagte Obama im Dezember 2009 bei einer Ehrung für Springsteen - in Anspielung auf dessen Spitznamen bei Millionen Musikfans. Zwölf Jahre später zeigen Podcast und Buch, wie eng das wohl schon bei Obamas Amtseinführung im Januar 2009 geknüpfte Band zwischen diesen so unterschiedlichen Männern längst ist.
Gegenseitige Sympathie, Respekt vor der Lebensleistung des Anderen, Kommunikation auf Augenhöhe - wer ohnehin schon positive Gefühle für die beiden liberal-demokratischen Ikonen hegte, kann sich auch bei der Lektüre bestätigt fühlen. «Gute Gespräche folgen keinem Drehbuch», betont Obama im Buch, das den populären Spotify-Podcast um bisher nicht veröffentlichte Texte erweitert. Und der Ex-Präsident (2009-2017) schlägt sogleich die Brücke zu dem seit fast 50 Jahren erfolgreichen Singer-Songwriter: «Wie ein guter Song stecken sie voller Überraschungen, Improvisationen, Abweichungen.»
Zwar kann man, im Gegensatz zum «Renegades»-Podcast, die vornehme, sonore Sprechstimme des ersten afroamerikanischen US-Präsidenten nicht hören, und auch nicht das leicht heisere Genuschel des 20-fachen Grammy-Siegers, dessen kraftvoller Gesang ansonsten ganze Stadien ausfüllt. Dennoch ist der Leser nah dran an dem in Dialogform abgedruckten Austausch der beiden Männer, an ihren politischen Botschaften und den Sorgen um ihr Land, an persönlichen Erinnerungen und Reflexionen zu Liebe und Familie, an lockeren Frotzeleien.
Von den acht Kapiteln über Politik und Privates beschreibt das erste anschaulich «Unsere unwahrscheinliche Freundschaft». Der aus einfachen Verhältnissen stammende «Boss» macht sich freilich zunächst kleiner als nötig: «Als Barack Obama vorschlug, wir sollten einen Podcast machen, war mein erster Gedanke, Okay, ich war bloss auf der High School in Freehold, New Jersey, und spiele Gitarre... Das passt doch nicht zusammen.» Seine bessere Hälfte habe ihm aber entgegnet: «Spinnst Du? Mach es! Die Leute werden euch liebend gern zuhören!»
Die kluge Ehefrau Patti Scialfa hatte natürlich völlig recht. Diese beiden Männer, der ehemalige Sozialarbeiter aus Chicago und der Songpoet des «kleinen Mannes», sie verstehen sich glänzend. «Es ist eine Zeit, in der Wachsamkeit gefragt ist, in der ernsthaft auf die Probe gestellt wird, wer wir sind», schreibt Springsteen mit einigem Unbehagen zur politischen Lage im US-Wahljahr 2020, als die Gespräche stattfanden - der Satz könnte auch von Obama stammen.
Beide teilen eine Vision, wie sich der in einem zerrissenen Land bedrohte «American Dream» doch noch irgendwie weiterträumen lässt. «Der allmächtige Dollar» lautet eine der Kapitelüberschriften - ja, Obama wie Springsteen sind, zumindest in den USA, eindeutig Linke. Aber eben auch Patrioten, die fast schon naiv «Die Story Amerikas» lieben oder das Hoffnungslied «Amazing Grace» (so lauten weitere Zwischentitel). «Auf unserem Weg haben Bruce und ich, jeder auf seine Weise, dieses Land zu verstehen versucht, das uns beiden so viel gegeben hat», erklärt der ehemals mächtigste Mann der Welt.
Apropos Hoffnungslieder: Aufrüttelnde Musik wie der legendäre Gospelsong «Amazing Grace» spielt natürlich auch eine grosse Rolle in diesem Buch. Obama hat bekanntlich einen brillanten Pop-Geschmack, seine aktuellen Lieblingstitel aus Rock, Hip-Hop und Soul teilt er regelmässig einer gespannten Öffentlichkeit mit. Auch zum Podcast «Renegades» gibt es daher längst Spotify-Playlists.
Sie enthalten neben gesellschaftskritischen «Boss»-Liedern wie «My Hometown» oder «American Skin (41 Shots)» viele andere politisch relevante Stücke - von Billie Holiday («Strange Fruit») und Nina Simone («Peace Of Mind») über Marvin Gaye («What's Going On») und Bob Dylan («Maggie's Farm») bis zu Sam Cooke («A Change Is Gonna Come»). Eine akustische Ergänzung zum Lesestoff, der auch Fotografien aus privaten Sammlungen beider Autoren, Springsteens handgeschriebene Songtexte und mit Anmerkungen versehene Obama-Reden enthält.