Was wird aus Boeings Krisenjet 737 Max?
Das Wichtigste in Kürze
- Einst war der Flugzeugtyp 737 Max der Bestseller von Boeing.
- Zwei Abstürze brachten den US-Flugzeugbauer in eine tiefe Krise.
- Seit einem Jahr müssen die Krisenflieger am Boden bleiben.
Boeing galt lange als erfolgsverwöhnter US-Vorzeigekonzern, doch zwei Flugzeugabstürze kurz nacheinander haben den Luftfahrt-Riesen in eine tiefe Krise gebracht. Vor rund einem Jahr wurden für die Unglücksflieger vom Typ 737 Max weltweit Startverbote verhängt, die das Unternehmen enorm belasten.
Ob und wann die Maschinen wieder abheben dürfen, bleibt ungewiss. Fest steht: Das Vertrauen in Boeing ist erschüttert, der Ruf ramponiert. Das 737-Max-Debakel hat den Konzern bereits etliche Milliarden Dollar und einen Vorstandschef den Job gekostet. Wie geht es weiter?
Internationaler Druck
Drei lange Tage dauerte es, bis die USA sich dem internationalen Druck beugten. Am Mittwoch, dem 13. März 2019, kündigte Präsident Donald Trump das Flugverbot für Boeings 737 Max an.
Am Sonntag zuvor war in Äthiopien eine Maschine des Typs abgestürzt. Knapp fünf Monate vorher bereits ein baugleiches Modell in Indonesien.
Insgesamt kamen bei den Unglücken 346 Menschen ums Leben. Nach dem zweiten Absturz sperrten China, die EU und andere Staaten rasch ihre Lufträume für die 737 Max. Die USA sträubten sich zunächst, gaben letztlich aber nach. Trump sprach von einer «sehr schwierigen Entscheidung».
Boeing geriet schnell weiter in die Bredouille. Untersuchungsberichte zeigten, dass die Abstürze nach einem ähnlichen Muster erfolgten, bei dem eine fehlerhafte Steuerungsautomatik die Flugzeuge Richtung Boden lenkte. Besonders brisant: Boeing wollte dieses Problem eigentlich bereits nach dem ersten Unglück per Software-Update beheben. Doch die Lösung zieht sich bis heute hin.
In der Zwischenzeit kamen immer neue Details heraus, die den Konzern weiter in Erklärungsnot brachten. Der Konzern ist mit Vorwürfen konfrontiert, die 737 Max aus Profitgier überstürzt auf den Markt gebracht zu haben. Zudem wird dem Flugzeugbauer vorgeworfen, die Sicherheit vernachlässigt zu haben. Das birgt auch juristisch hohe Risiken.
Verdacht auf Täuschung
Ob bei der 737-Max-Zertifizierung alles mit rechten Dingen zuging, ist in den USA Gegenstand verschiedener Ermittlungen. Es gibt sogar den Verdacht, dass Boeing die US-Flugaufsicht FAA getäuscht und wichtige Informationen unterschlagen haben könnte. Heikle Interna und forsche Ansagen zur 737-Max-Wiederzulassung belasteten das Verhältnis zur Behörde zeitweise stark.
Die Spannungen galten sogar als ein Grund für den Rauswurf von Konzernchef Dennis Muilenburg im Dezember. Boeing musste sich für brisante Mitarbeiter-Chats rechtfertigen, in denen es unter anderem zur 737 Max hiess: «Dieses Flugzeug ist von Clowns entworfen, die wiederum von Affen beaufsichtigt werden.»
Dass Nachrichten wie diese dem US-Kongress und der FAA gegenüber offengelegt wurden, war Teil einer Transparenzinitiative. Muilenburgs Nachfolger Dave Calhoun, wollte damit endlich alle Missstände auf den Tisch bringen, um das Vertrauen in Boeing wiederherzustellen.
Dabei hat der Manager alle Hände voll zu tun. Das 737-Max-Debakel hat dem Konzern 2019 den ersten Jahresverlust seit 1997 eingebrockt. Alleine im vierten Quartal verlor Boeing unterm Strich gut eine Milliarde Dollar.
Insgesamt belaufen sich die Sonderkosten wegen der Flugverbote bis zuletzt auf 18 Milliarden Dollar. Die Schadensbilanz dürfte noch deutlich steigen.
Wiederzulassung im Sommer?
Boeing geht davon aus, dass die 737 Max «Mitte 2020» wieder zugelassen wird. Doch die Entscheidung liegt allein bei den Behörden. Geschäftlich betrachtet ist Boeings grösstes Problem, dass er seinen Bestseller nicht mehr an Kunden ausliefern konnte.
Das belastet massiv, zumal Boeing die 737 Max lange weiter auf Halde produzierte. Den hohen Kosten standen jedoch keine unmittelbaren Einnahmen gegenüber. Grosskunden wie Ryanair stoppten zudem Anzahlungen für bestellte Jets.
Erst im Januar setzte Boeing die Fertigung aus. Das wiederum war eine Hiobsbotschaft für die grosse Zuliefererkette und die US-Wirtschaft insgesamt, für die Boeing grosse Bedeutung hat.
So setzte der Zulieferer Spirit Aerosystems 2800 Mitarbeiter auf die Strasse. Das Unternehmen baut unter anderem die kompletten Rümpfe des Flugzeugs. Diese Arbeiten und die zugehörigen Einnahmen fallen seit Januar weg.
Reaktion auf A320neo
Boeing hatte mit der 737 Max auf den Erfolg des Konkurrenzmodells A320neo von Airbus reagiert. Dieser hatte seinem Erfolgsmodell A320 vor allem mittels modernerer Triebwerke eine spritsparende Neuauflage spendiert. Mitte 2011 hatte Airbus mehr als 1000 Bestellungen für seinen Flieger eingesammelt und Boeing die ersten Stammkunden abspenstig gemacht.
Wenig später kündigte der US-Konzern den Bau der 737 Max an. Eine völlige Neuentwicklung, über die Boeing schon länger nachgedacht hatte, hätte zu viel Zeit gekostet. Airbus' Vorsprung konnte Boeing trotz hoher «Max»-Nachfrage dennoch nie aufholen.
Dann kam es im Herbst 2018 zu dem ersten Absturz. Als entscheidende Ursache gilt inzwischen die Steuerungssoftware, die eigentlich ein Problem mit der Konstruktion des Fliegers lösen sollte. Denn die neuen riesigen Triebwerke passten nicht unter die niedrig hängenden Tragflächen des Flugzeugs.
Weil sie praktisch vor den Flügeln hängen, sorgen sie für zusätzlichen Auftrieb. Die Software sollte verhindern, dass das Flugzeug im Steigflug einen Strömungsabriss erleidet und wie ein Stein vom Himmel fällt. Doch falsche Daten zogen die Nasen der Unglücksjets nach unten - bis sie auf der Erde aufprallten.
Wachstumspläne eindampfen
Seit dem Flugverbot warten Fluggesellschaften in aller Welt darauf, dass Boeing die Probleme löst. Und die Behörden den Flieger wieder in die Luft lassen. Unternehmen wie Ryanair mussten ihre Wachstumspläne bereits eindampfen.
Beim Reisekonzern Tui zehren hohe Ausgaben für Ersatzflugzeuge seit Frühjahr 2019 schmerzlich am Gewinn. Auch für diesen Sommer ist kaum Besserung in Sicht.
Trotzdem hat bisher kaum eine Airline ihre Bestellungen bei Boeing storniert. Denn es gibt praktisch kaum eine Alternative. Bei Airbus ist die Produktion der A320neo-Familie bis ins Jahr 2025 ausgebucht.
Hersteller und Zulieferer kommen den Aufträgen kaum hinterher. Ryanair spricht mit Boeing deshalb sogar über die Bestellung von weiteren 737 Max.
Der US-Konzern überdenkt in der Krise nun auch seine Modellpolitik. So legte Calhoun den seit Jahren diskutierten Plan für einen mittelgrossen Passagierjet zu den Akten. Er sucht nach einem neuen Ansatz und will noch einmal «mit einem weissen Blatt Papier» beginnen. Nach Schätzungen aus Branchenkreisen hätte die NMA-Entwicklung zwischen 10 und 15 Milliarden Dollar gekostet.
Calhouns Vorgänger Muilenburg wollte stets sichergehen, dass der Jet auf genügend Nachfrage bei den Fluggesellschaften trifft. Das 737-Max-Desaster kommt den Konzern nun wohl noch viel teurer zu stehen. Vom Imageschaden ganz zu schweigen.