Seehofers Scheitern? Kaum Fortschritt bei EU-Asylreform
Seit Juli hat Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft inne. Innenminister Seehofer wollte diese Gelegenheit nutzen, um die EU-Staaten beim Streitthema Asylreform auf eine gemeinsame Linie zu bringen. Einem vertraulichen Bericht zufolge dürfte er dieses Ziel jedoch verfehlen.
Das Wichtigste in Kürze
- Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) droht an seinem Ziel, einen Durchbruch bei der seit Jahren blockierten EU-Asylreform zu erzielen, zu scheitern.
Zum Ende des deutschen Vorsitzes sind die EU-Staaten noch immer weit von einer gemeinsamen Linie entfernt, wie aus einem vertraulichen Bericht der deutschen EU-Ratspräsidentschaft hervorgeht, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Demnach hakt es wie gehabt vor allem an der Frage, ob sich alle Länder die Verantwortung für ankommende Migranten teilen. Am Montag stehen erneut Beratungen der EU-Innenminister an - substanzieller Fortschritt wird nicht erwartet.
Dass die Asyl- und Migrationspolitik eines der schwierigsten Themen auf EU-Ebene ist, wusste Seehofer. Dennoch betonte er immer wieder, er wolle deutliche Fortschritte erzielen. Noch Mitte November sagte er: «Ich bin zuversichtlich, dass wir bis zum Ende dieses Jahres eine politische Verständigung über die Grundsätze der europäischen Migrationspolitik erreichen können.» Daran sind schon viele andere gescheitert. Die EU-Kommission hatte deshalb im September neue Vorschläge präsentiert, die die Blockade lösen sollten.
Darüber will Seehofer am Montag erneut mit seinen EU-Kollegen per Video beraten. Weil Deutschland seit Juli turnusgemäss für sechs Monate den Vorsitz der EU-Staaten innehat, leitet der CSU-Politiker die Verhandlungen. Grundlage soll der Fortschrittsbericht der deutschen Ratspräsidentschaft sein, der der dpa vorliegt. Aus dem Papier vom 10. Dezember geht hervor, dass von einer «politischen Verständigung über die Grundsätze der europäischen Migrationspolitik» keine Rede sein kann.
Viel mehr scheint kein Land von seiner Position abzurücken. Ungarn und Polen haben längst klar gemacht, dass die Vorschläge der Kommission für sie untragbar sind. Sie wollen sich weiter nicht verpflichten lassen, Migranten aus anderen EU-Ländern aufzunehmen. Allerdings lehnen sie es auch ab, stattdessen die Verantwortung für die Rückführung abgelehnter Asylbewerber zu übernehmen. Dies hatte die EU-Kommission als Alternative vorgeschlagen.
Auch besonders belastete Mittelmeerstaaten wie Griechenland, Italien, Spanien und Malta empfinden die Vorschläge als unausgewogen. Diese griffen in vielen Bereichen zu kurz, betonte Maltas Aussenminister Evarist Bartolo jüngst in einem Beitrag im Politikmagazin «Politico».
Er forderte mehr Unterstützung anderer EU-Staaten. Diese müssten zusagen, Schutzsuchende zu übernehmen. Zudem müsse die EU stärker mit Transit- und Herkunftsländern zusammenarbeiten - auch bei der Rückführung. Sein Fazit: «Trotz der Bemühungen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, die Diskussion um den neuen Migrationspakt der EU-Kommission vom September voranzubringen, sind wir einer Einigung nicht näher als in den vorherigen Jahren.»
Ähnlich liest sich nun das Papier der deutschen Ratspräsidentschaft. Vor allem an der Frage, ob die Hilfe anderer EU-Staaten - durch die Übernahme von Rückführungen oder das Aufnehmen von Migranten - in bestimmten Situationen verpflichtend sein soll oder nicht, scheiden sich demnach die Geister. Dies werde in einer Reihe von Ländern unterschiedlich bewertet. «Einige Mitgliedstaaten sehen derzeit die Notwendigkeit für einen flexiblen Mechanismus, während andere insbesondere die verpflichtende Umverteilung als Schlüsselelement einer bedeutsamen Solidarität bewerten.»
Der alte Streit also - auch wenn sich dem Papier zufolge alle Länder dazu bekennen, einander im Falle von Migrationsdruck oder -krise zu helfen. Breite Übereinkunft gebe es auch darüber, dass diese Unterstützung verpflichtend sein soll. Die Details - wie diese Hilfe etwa aussehen könnte - bleiben jedoch offen. An anderer Stelle heisst es, eine Mehrzahl der Staaten sei für verschiedene Solidaritätsmassnahmen mit besonders von Migration betroffenen Ländern - darunter sind die Umsiedlung von Migranten, Hilfe beim Grenzschutz oder Zusammenarbeit mit Drittstaaten.
Auch bei einem anderen zentralen Punkt ist Seehofer dem Papier zufolge nicht weit gekommen: der möglichen Asyl-Vorprüfung von Migranten an den EU-Aussengrenzen, mit der Option, manche Menschen schon von dort wieder zurückzuschicken. Übereinstimmungen gebe es hingegen bei der Notwendigkeit, Rückführungen zu verstärken, bei Fragen der legalen Migration oder der externen Dimension wie der Zusammenarbeit mit Nicht-EU-Staaten.
Die Corona-Krise hat es Seehofer allerdings nicht einfach gemacht. So hat die EU-Kommission ihre Vorschläge wegen der Pandemie deutlich später vorgelegt als geplant. Hinzu kommt, dass die Innenminister coronabedingt nur per Video beraten konnten. Seehofer selbst betonte stets, wie wichtig physische Treffen bei einem so heiklen Thema seien. Auch ein EU-Diplomat in Brüssel sagt: «Es war schwer, die grossen Pflöcke einzuschlagen, weil es keine physische Sitzung gab.» Und ein anderer Diplomat betont, der fehlende Fortschritt sei nicht Seehofers Fehler. «Das Problem ist, dass niemand sich auch nur einen Zentimeter bewegen möchte.»