Coronavirus: Risiko für Long Covid hat sich deutlich verringert
Das Coronavirus kann Langzeitfolgen verursachen. Gerade zu Beginn der Pandemie gab es viele Betroffene. Wie es aktuell aussieht.
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Das Wichtigste in Kürze
- Das Risiko für Long Covid nach einer Covid-19-Erkrankung ist deutlich gesunken.
- Die Omikron-Varianten zeigen ähnliche Langzeitrisiken wie andere Atemwegserkrankungen.
Vor rund vier Jahren zeigte sich, dass Sars-CoV-2 die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit weit über die Infektion hinaus beeinträchtigen kann.
Längst hat das Phänomen von Symptomen, die länger als vier Wochen andauern, mit Long Covid einen Namen bekommen.
Von ursächlicher Heilung solcher Langzeitfolgen ist die Medizin aber weit entfernt.
Eine gute Nachricht ist: Das Risiko, nach einer Erkrankung Long Covid zu entwickeln, hat sich deutlich vermindert. Dies im Zuge von mehr Immunschutz durch Impfungen und durchgemachte Infektionen sowie weniger aggressiver Virusvarianten.
Das zeigen Ergebnisse der «Virus Watch»-Studie des University College London.
Die jüngeren Omikron-Untervarianten weisen ähnliche Wahrscheinlichkeiten für Langzeitsymptome auf wie andere akute Atemwegserkrankungen. Omikron ist die seit Anfang 2022 weltweit dominierende Coronavirus-Variante.
In der ersten Infektionswelle habe das Risiko für mehr als zwölf Wochen andauernde Beschwerden bei sechs bis acht Prozent gelegen. Dies sagt Andreas Stallmach vom Universitätsklinikum Jena (UKJ).
Inzwischen liege es wahrscheinlich bei ein bis zwei Prozent der Covid-Erkrankten.
Je länger die Symptome, desto schlechter die Prognose
Carmen Scheibenbogen von der Charité Berlin sagt: «Der Anteil derer, bei denen sie innerhalb eines halben Jahres wieder verschwinden, ist recht hoch.»
Kritisch wird es danach: «Wer nach einem halben Jahr noch Symptome hat, hat sie mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nach ein oder zwei Jahren noch.»
Doch was entscheidet darüber, ob man Long Covid entwickelt – und ob es langfristig bleibt?
Bekannt ist, dass Frauen zwei Drittel der Long-Covid-Betroffenen stellen und ein grosser Teil der Patienten vergleichsweise jung ist.
Bei beiden Faktoren spielt das aktivere Immunsystem eine Rolle, wie Scheibenbogen erklärt. Unter anderem Menschen mit Übergewicht und Erkrankungen des Immunsystems haben ebenfalls ein höheres Risiko.
Eine standardisierte, ursächlich helfende Therapie gibt es bisher nicht. Je nach Symptomen empfehlen Mediziner etwa Bewegungstherapie, Schmerz- und Kreislaufbehandlung, Atemtherapie, Entspannungsverfahren oder Hirnleistungstraining. Insbesondere bei schweren Fällen soll streng darauf geachtet werden, Patienten nicht zu überlasten.
Diagnose weiterhin schwierig
Ein Grundübel bei der Diagnose besteht nach wie vor: Es gibt keinen leicht zu bestimmenden Wert, an dem sich Long Covid festmachen liesse.
«Viele Symptome lassen sich unterschiedlich bewerten – zudem kann aus dem Verdacht auf Long Covid eine ganz andere Diagnose werden». Dies sagt Stallmach, Leiter des Post-Covid-Zentrums am UKJ.
An den häufigsten Symptomen von Long Covid hat sich seit Beginn der Coronavirus-Pandemie wenig verändert.
Eine Studie unter Leitung von Winfried Kern (Uni Freiburg) untersuchte Infizierte der ersten Corona-Welle.
Die Beschwerden waren Müdigkeit, Erschöpfung, kognitive Störungen wie Konzentrations- oder Gedächtnisschwäche, Schmerzen im Brustkorb, Atemnot sowie Angst, Depressionen und Schlafprobleme.
Bis zu 200'000 Betroffene in Deutschland
Bei Menschen mit länger anhaltendem Post-Covid-Syndrom berichtete mehr als ein Drittel, weniger belastbar bei Anstrengungen zu sein.
Die wohl gefürchtetste Ausprägung bei Post Covid ist ME/CFS – Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom.
Ein Grossteil der Langzeit-Post-Covid-Fälle gehe darauf zurück. Bundesweit seien aktuell geschätzt etwa 150'000 bis 200'000 Menschen betroffen, erklärt Stallmach.
Hinzu kommen zahlreiche Patienten, die ME/CFS unabhängig von einer Corona-Infektion entwickeln.
Einige sind eingeschränkt bis zur Pflegebedürftigkeit
ME/CFS ist eine komplexe Erkrankung. Sie ist unter anderem von bleierner körperlicher Schwäche und äusserst geringer Belastbarkeit geprägt.
Typisch ist eine deutliche Verstärkung der Beschwerden schon nach geringer körperlicher oder geistiger Belastung.
Viele Betroffene können sich kaum selbst versorgen. «Manche sind so schwer krank, dass sie ihr vorheriges Leben komplett verloren haben», sagt Stallmach.
Auch in diesem Bereich sei bisher keine überzeugende Therapie gefunden. «Ich bin aber optimistisch, dass sich das in den nächsten Jahren ändern wird.»
Prävention ist ein zentraler Ansatzpunkt
Wichtig sei aber, nicht nur Therapien gegen Langzeit-Post-Covid zu entwickeln, sondern sich auch mit Prävention zu beschäftigen. Dies betont Scheibenbogen, die das Charité Fatigue Centrum leitet.
«Wie lässt sich gezielt verhindern, dass sich nach einer Infektion Long Covid entwickelt?»
Metformin sei ein aussichtsreicher Kandidat dafür, aber auch histaminhaltige Nasensprays. Nützen könnte das vielleicht einmal Risikopatienten nicht nur bei Corona, sondern auch bei anderen Infektionen.
Denn das Phänomen andauernder Nachwirkungen nach Infektionen kennen Ärzte seit mehr als einem Jahrhundert.
Durch die immens hohen Fallzahlen während der Pandemie wurde nur plötzlich ein Schlaglicht darauf geworfen.
Viele Post-Covid-Patienten bleiben ohne genaue Erfassung
Wie viele Menschen in Deutschland aktuell von Long oder Post Covid betroffen sind, lässt sich nur grob schätzen.
Experten wie Kern gehen von einer sechsstelligen Zahl an Post-Covid-Patienten aus. Derzeit fielen Patienten oft irgendwann aus dem Raster, sagt Stallmach.
Nach etwa zwei Jahren gehe es in Richtung Frühverrentung, danach verlören viele Betroffene auch selbst die Hoffnung auf Genesung.
«Das kann nicht sein, zu sagen: Dann ist es eben so. Wir dürfen das nicht akzeptieren, wir dürfen diese Patienten nicht vergessen.»