Der Herr über die Brexit-Abstimmungen: John Bercow
Das Wichtigste in Kürze
- «Oooooorder», «Ooooooooooorder!» - schallt es bei Sitzungen des britischen Unterhauses durch den Saal.
Selbst Kinder, die in den Nachrichten die markanten Ordnungsrufe von John Bercow aufschnappen, äffen ihn bereits nach.
Der Parlamentspräsident hat sich in Grossbritannien und anderen Ländern zur Kultfigur gemausert - und er spielt im Streit um den EU-Austritt eine wichtige Rolle. Kritiker werfen ihm jedoch vor, die Neutralität seines Amts zugunsten der Brexit-Gegner zu verletzen.
Bercow ist bereits der 157. «Speaker of the House of Commons». Mehrere seiner Vorgänger überlebten den Posten nicht: sie wurden geköpft. Heute ist es eher der exzentrische Bercow, vor dem die Abgeordneten zittern. Denn «Mr Speaker», so wird er im Parlament angesprochen, ist quasi der Herr über die Debatten und Abstimmungen.
So wählte Bercow am Mittwoch im Unterhaus die Alternativ-Vorschläge für das umstrittene Brexit-Abkommen aus, über die die Abgeordneten dann entscheiden durften. Allerdings kam nicht eine einzige der acht Optionen in dem völlig zerstrittenen Parlament durch.
Selbst Premierministerin Theresa May kommt nicht an ihm vorbei. Kürzlich untersagte Bercow kurzerhand eine dritte Abstimmung über Mays Brexit-Deal. Nur eine substanzielle Änderung an der Vorlage könne eine weitere Abstimmung über das Abkommen rechtfertigen, erklärte Bercow. Der Clou: Er berief sich auf eine 415 Jahre alte Regel, die kaum noch jemand parat hatte. Die Regierung musste sich beugen und kündigte an, die Anforderungen zu erfüllen.
Kritiker warfen dem 56-Jährigen prompt wieder Parteilichkeit zugunsten der EU-freundlichen Abgeordneten vor. Bercow selbst - das ist kein Geheimnis - hätte Grossbritannien lieber weiter in der Europäischen Union gesehen. Kritik an seinem Verhalten im Unterhaus weist er aber zurück. «Ich habe meine privaten Überzeugungen, aber im Parlament bin ich unparteiisch», sagte er in einem Interview, das am Donnerstag unter anderem in der «Welt» erschienen ist.
Bercow ist ein Dickschädel, der die hohe Kunst der Rhetorik beherrscht. «Ich rede einfach zu gern und im Zweifel zu viel», räumte der aus einfachen Verhältnissen stammende Politiker in dem Interview ein. «Meinen Sprachstil habe ich von meinem Vater geerbt, der recht gestelzt sprach.»
Schon als Kind las Bercow Zeitung, kandidierte für das Schülerparlament und protestierte gegen das Schulessen. Er habe keine Probleme, vor einer Menge zu sprechen. Dagegen gehöre Tanzen zu seinen Urängsten - und seine Furcht davor könne er «nur mit einer beträchtlichen Menge Alkohol» überwinden.
Ursprünglich ein Konservativer, entfremdete sich Bercow von den regierenden Tories. Er sieht sich als Verteidiger des Parlaments gegen eine Regierung, die zunehmend autoritäre Züge trägt. Er nahm auch den Kampf gegen die britische Boulevardpresse auf, die EU-freundliche Abgeordnete als Meuterer anprangerte. Bercow rief daraufhin den Abgeordneten im Unterhaus zu: «Bei der Abgabe Ihrer Stimme ... sind Sie als Mitglied des Parlaments niemals Meuterer, niemals Verräter, niemals Querulanten, niemals Volksfeinde.»
Viel Beifall, aber auch Kritik bekam Bercow für die Ankündigung, US-Präsident Donald Trump bei einem Staatsbesuch nicht im Parlament zu empfangen. Indirekt warf er Trump Rassismus und Sexismus vor.
Doch es gibt auch immer wieder massive Vorwürfe von Ex-Mitarbeitern und Kollegen gegen ihn. Sein Ex-Privatsekretär Angus Sinclair etwa behauptete, Bercow habe ihn vor anderen Mitarbeitern angeschrien. Mehrere Parlamentarierinnen soll er ebenfalls beleidigt haben.
Für Aufsehen sorgte auch sein Familienleben: Ehefrau Sally, die den recht kleinen Bercow um einen Kopf überragt und eine Anhängerin der oppositionellen Labour-Partei ist, fiel wiederholt mit erotischen Fotos und frivolen Äusserungen auf. Ihr Einzug ins Big-Brother-Haus löste bei ihrem Mann keine Begeisterung aus - er reiste nach Indien.