Für Ukraine: Deutsche Industrie bietet Mörser statt Panzer
Das Wichtigste in Kürze
- Die Bundesregierung bereitet einen ersten Ringtausch für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine vor.
Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur vom Donnerstag soll dabei der Nato-Partner Slowenien eine grössere Stückzahl seiner alten Kampfpanzer an die Ukraine abgeben und aus Deutschland dafür den Schützenpanzer Marder sowie den Radpanzer Fuchs erhalten. Slowenien hat unter der Bezeichnung M-84 noch eine jugoslawische Variante des auch von der Ukraine genutzten Kampfpanzers T-72 in den Beständen. «Die Situation in der Ukraine spitzt sich dramatisch zu. Und wir dürfen nicht zulassen, dass Putin, dass Russland diesen Angriffskrieg gewinnt», sagte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD). Und: «Es muss jetzt sehr, sehr schnell gehen.»
Zeitpunkt der Lieferung weiter unklar
Ob und wann die deutsche Industrie schwere Waffen an die Ukraine liefern wird, bleibt dagegen weiter unklar. Auf einer Liste mit 210 Angeboten im Wert von 307 Millionen Euro von Ende März steht nur ein Angebot, das in diese Kategorie eingeordnet werden könnte: 12 Mörser, Kaliber 120 Millimeter. Die von der Ukraine geforderten Kampfpanzer, schwere Artillerie oder Luftabwehrsysteme sucht man darauf vergeblich.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bekommt bei dem Thema schon seit Tagen Druck aus der eigenen Koalition und aus der Ukraine. Auch bei osteuropäischen Bündnispartnern schwindet nun die Geduld. Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki kündigte am Donnerstag an, mit Scholz reden zu wollen, um seine Haltung zu ändern. Er wolle ihm klarmachen, dass dies ein Wendepunkt in der Geschichte Europas und der Welt sei. Die Ukrainer brauchten etwas, womit sie sich verteidigen könnten. «Deshalb ist es notwendig, ihnen Munition und auch schweres Gerät zu geben. Hier ist die zweideutige Haltung Deutschlands sicherlich nicht hilfreich.»
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, bat Scholz, dem Ausschuss am kommenden Mittwoch persönlich über Waffenlieferungen zu berichten. «Die Frage danach, welchen Beitrag Deutschland und insbesondere die Bundeswehr in Bezug auf Waffenlieferungen tatsächlich leisten kann, ist für die Menschen in der Ukraine existenziell», heisst es in der Einladung, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Die FDP-Politikerin ist eine Befürworterin der Lieferung schwerer Waffen.
Panzerabwehrwaffen auf Industrieliste
Scholz hatte am Dienstag deutlich gemacht, dass die Bundeswehr keine schweren Waffen an die Ukraine abgeben werde. Stattdessen will die Bundesregierung die Lieferung von Waffen und Ausrüstung der deutschen Industrie in die Ukraine finanzieren. Der Kanzler sprach in diesem Zusammenhang von einer Liste lieferbarer Rüstungsgüter. Darunter seien wie bisher Panzerabwehrwaffen, Luftabwehrgeräte, Munition «und auch das, was man in einem Artilleriegefecht einsetzen kann».
Konkret stehen auf der Liste, die der dpa vorliegt, 5150 Panzerabwehrwaffen mit einer Reichweite bis zu 500 Metern. Ausserdem zählen zu den Angeboten 18 kleine Aufklärungsdrohnen, 3000 Nachtsichtgeräte, mehr als 3000 Handfeuerwaffen, 30 Anti-Drohnen-Gewehre sowie gepanzerte Fahrzeuge. Der grösste Teil fällt in die Kategorien Aufklärungstechnik (circa 162 Millionen Euro), persönliche Schutzausrüstung (circa 79 Millionen Euro) und Handfeuerwaffen (circa 41 Millionen Euro). Die Bundesregierung stellt in diesem Jahr zwei Milliarden Euro aus Steuergeldern für Rüstungshilfe im Ausland zur Verfügung. Der grösste Teil davon ist für die Ukraine vorgesehen.
Lambrecht: Die nächsten zwei Wochen sind entscheidend
Der zweite Weg, die Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine zu ermöglichen, ist der Ringtausch: Andere Länder liefern Waffen sowjetischer Bauart in die Ukraine und bekommen dafür Ersatz aus Deutschland. Die Idee dahinter: Mit den in die Jahre gekommenen Waffen können die ukrainischen Streitkräfte ohne spezielle Ausbildung umgehen. Sie können also schnell eingesetzt werden.
Die Aktion soll nach Angaben Lambrechts in den nächsten Tagen starten. «Alle Militärexperten sind sich sicher, dass die nächsten zwei Wochen entscheidende Wochen sind im Kampf der Ukraine gegen Russland», sagte die SPD-Politikerin auf n-tv. «Und diesen Kampf müssen wir unterstützen, damit da bestanden werden kann.»
Das noch aus der Sowjetzeit stammende Waffensystem T-72 wird vom ukrainischen Heer bereits eingesetzt. Nach Informationen der dpa aus Regierungskreisen hat Slowenien als Kompensation auch moderneres Gerät aus Deutschland angefordert, darunter den deutschen Kampfpanzer Leopard 2, den Radpanzer Boxer sowie den Schützenpanzer Puma, der in der Bundeswehr als Nachfolger des seit 50 Jahren genutzten Marder eingeführt wird.
Ausbildung ukrainischer Soldaten an Panzerhaubitze 2000
Lambrecht (SPD) bestätigte auch, dass Deutschland ukrainische Soldaten an der Panzerhaubitze 2000 ausbilden werde. «Weil wir das Know-how haben, um daran auszubilden. Das ist eine Möglichkeit, um auch diesen Support zu leisten», sagte sie.
Nach früheren Berichten soll die Panzerhaubitze 2000 von den Niederlanden an die Ukraine geliefert werden. Deutschland könne dies nicht tun, da die «Bundeswehr nicht so ausgestattet» sei, sagte Lambrecht und fügte hinzu: «Aber da, wo wir Ausbildung leisten können, werden wir das tun.»
Die Bundeswehr verfügt über etwa 120 Panzerhaubitzen. Nur sechs davon sind im Litauen im Einsatz. Die Niederlande haben nach Angaben des dortigen Verteidigungsministeriums 54 der Artilleriegeschütze, von denen 35 genutzt werden und 19 im Lager stehen.
Schon geliefert: 100 000 Granaten und 16 Millionen Schuss Munition
Aus ukrainischen Regierungskreisen erfuhr die dpa auch, welche deutsche Waffen inzwischen in der Ukraine angekommen sind: Gut 2500 Luftabwehrraketen, 900 Panzerfäuste mit 3000 Schuss Munition, 100 Maschinengewehre und 15 Bunkerfäuste mit 50 Raketen. Hinzu kommen 100.000 Handgranaten, 2000 Minen, rund 5300 Sprengladungen sowie mehr als 16 Millionen Schuss Munition verschiedener Kaliber für Handfeuerwaffen vom Sturmgewehr bis zum schweren Maschinengewehr.
Die Bundesregierung hatte sich zwei Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine dafür entschieden, Waffen in das Kriegsgebiet zu liefern - ein Tabubruch. Anfangs gab die Bundesregierung noch bekannt, welche Waffen sie liefert, seit längerer Zeit aber nicht mehr. Bundestagsabgeordnete können sich nur noch in der Geheimschutzstelle darüber informieren.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) soll bei der nächsten Sitzung des Verteidigungsausschusses persönlich über Waffenlieferungen an die Ukraine berichten. «Es würde mich sehr freuen, wenn Ihr Terminkalender die Teilnahme ermöglichen könnte», heisst es in einem an den Kanzler gerichteten Schreiben der Ausschussvorsitzenden Marie-Agnes Strack-Zimmermann, das der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag vorlag. Die Dramatik des Krieges in der Ukraine «steigert sich von Tag zu Tag», schreibt die FDP-Politikerin.