Ex-Botschafter Heusgen warnt vor Putins «Expansionsgelüsten»
Das Wichtigste in Kürze
- Der designierte neue Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, bescheinigt dem russischen Präsidenten Wladimir Putin «Expansionsgelüste» und rät dem Westen zu einer harten Haltung im Ukraine-Konflikt.
Putin sehe die USA und Europa durch die Regierungswechsel und wegen des unrühmlichen Endes des Afghanistan-Einsatzes als geschwächt an und suche nach einem Anlass, in die Ukraine einzumarschieren, sagte der frühere deutsche Botschafter bei den Vereinten Nationen dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
In diesem Fall müssten Sanktionen auch die Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland umfassen sowie den Ausschluss Russlands aus dem internationalen Zahlungssystem Swift, sagte Heusgen. «Eine weiche Reaktion würde Putin als Schwäche interpretieren und seine Expansionsgelüste nur stimulieren.»
Besorgt äusserte sich auch der EVP-Fraktionsvorsitzende im EU-Parlament, Manfred Weber. Der CSU-Politiker warnte vor einem neuen Krieg in Europa. «Die Lage ist ernst. Es ist sehr, sehr ernst», sagte Weber dem «Münchner Merkur». Russland habe mehr als 100 000 Soldaten an der Grenze zusammengezogen. Zudem besorge ihn die jüngste Propaganda, sagte Weber. «Worte bereiten Taten vor. Putin spricht von einem Genozid im Donbass, damit könnte man dann einen Krieg begründen.»
Seit Wochen lösen im Westen vor allem Erkenntnisse Sorgen aus, wonach Russland in Gebieten unweit der Ukraine Zehntausende Soldaten zusammengezogen hat. Putin hatte vergangene Woche aber seine Bereitschaft bekundet, die Spannungen diplomatisch zu lösen. Für Januar sind Gespräche mit den USA angesetzt.
Moskau fordert ein Ende der Nato-Osterweiterung, durch die es sich bedroht sieht. Zudem will Russland erreichen, dass die Ukraine kein Nato-Mitglied wird.
Heusgen, langjähriger aussen- und sicherheitspolitischer Berater Angela Merkels, sagte: «Putin lebt in seiner eigenen, nostalgischen Welt, in der internationales Recht kein Massstab ist.» Er verkläre die Sowjetunion und sogar das Stalin-Regime. «Er strebt eine Wiederherstellung eines russischen Reiches an, das an die Sowjetunion erinnert.» Putins Behauptung, die Nato habe versprochen, sich nach dem Zerfall des Warschauer Paktes nicht nach Osten auszudehnen, sei «reine Propaganda» und entbehre jeder Grundlage. «Putin weiss das alles genau.»
Russland warnt vor Konflikt
Angesichts der Spannungen zwischen Russland und der Nato hatte das Verteidigungsministerium in Moskau erst am Montag westliche Militärattachés vor der Gefahr eines bewaffneten Konflikts gewarnt. «In der letzten Zeit ist die Allianz zu einer Praxis direkter Provokationen übergegangen, die ein hohes Risiko darstellen, sich zu einer bewaffneten Konfrontation auszuweiten», sagte der stellvertretende Verteidigungsminister Alexander Fomin.
Fomin warf der Nato eine massive Zunahme militärischer Aktivitäten vor. Allein 2020 sei die Zahl der militärischen Flüge an Russlands Grenzen von 436 auf 710 gestiegen. Jedes Jahr halte die Nato zudem 30 grosse Manöver mit Kampfszenarien gegen Russland ab.
Fomin sagte, dass Russland jederzeit zu einem Gespräch auf Augenhöhe bereit sei. Zugleich kritisierte er, dass die Nato seit Jahren jedes Gesprächsangebot Moskaus ablehne und die Konfrontation bevorzuge.
Russland: Vorwürfe an Nato
Russland hält der Nato vor, seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor 30 Jahren Militärbasen und Waffensysteme immer näher an Russland zu verlegen. Allein in Osteuropa seien inzwischen dauerhaft 13.000 Soldaten von Nato-Staaten und unter anderem 200 Panzer und 30 Flugzeuge und Hubschrauber stationiert.
Heusgen warnte, die USA seien wegen einer tiefen Spaltung ihrer Gesellschaft und grosser innenpolitischer Reformen derzeit kaum zu internationaler Konfliktlösung in der Lage. Das Bildungs- und das Gesundheitswesen müsse reformiert werden, der Klimawandel stelle das Land vor riesige Probleme, Teile der Infrastruktur seien marode. Zugleich lauerten im Hintergrund die Republikaner von Ex-Präsident Donald Trump, die an den Grundfesten der amerikanischen Demokratie rüttelten. «Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass Biden der Aussenpolitik nur sehr begrenzt Aufmerksamkeit schenken kann.»