Freiheiten für Geimpfte - EMA-Entwarnung bei Astrazeneca
Gute Nachrichten zum Impfen: Es gibt immer mehr Corona-Impfstoff, und weitere Studien belegen die Wirksamkeit. Zunehmend rückt die Frage ins Zentrum: Was sollen Geimpfte wieder dürfen?
Das Wichtigste in Kürze
- Mit den zügigen Fortschritten bei den Corona-Impfungen in Deutschland rücken mehr Freiheiten für Geimpfte näher.
Darüber wollen Bund und Länder bei einer Spitzenrunde an diesem Montag beraten, wie Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ankündigte. Auch das Pärparat von Astrazeneca, das wegen Thrombose-Fällen momentan weniger nachgefragt ist, kann nach Einschätzung der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA uneingeschränkt gespritzt werden.
Die Blutgerinnsel kämen im Schnitt bei einer von 100.000 geimpften Personen vor, so die EMA-Experten. Dem gegenüber stehe die sehr starke Reduzierung der schweren Covid-19-Erkrankungen, betonten sie in einer in Amsterdam vorgelegten Analyse. Das Risiko von Hirnvenenthrombosen sei bei Unter-60-Jährigen zwar höher als bei Älteren. Aber auch bei den Jüngeren überwögen die Vorzüge.
In Deutschland wurden bis Mitte April 59 Thrombosefälle nach Astrazeneca-Impfung gemeldet. Zwölf Menschen starben. Mehr als 4,2 Millionen Bundesbürgern wurde der Impfstoff verabreicht.
Spahn zeigte sich aber auch wegen konstanter Lieferungen von Biontech/Pfizer optimistisch. Laut EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ist auch der angekündigte EU-Vertrag zum Kauf von weiteren 1,8 Milliarden Biontech-Dosen fast fertig. «Wir werden in den nächsten Tagen abschliessen», sagte sie beim Besuch eines Pfizer-Werks im belgischen Puurs. Die Dosen sollen bis 2023 geliefert werden. Damit sollen Impfungen aufgefrischt und die 70 bis 80 Millionen Kinder in der EU immunisiert werden.
POSITIVES VOTUM ZU JOHNSON & JOHNSON:
Beim Johnson & Johnson-Impfstoff, der ebenfalls in die Schlagzeilen geraten war, sieht die ständige Impfkommission in Deutschland nach aktuellem Stand keine Altersbeschränkung vor, wie der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), Klaus Cichutek, mitteilte. Nach US-Daten kam hier ein Thrombosefall auf eine Millionen Impfungen. Spahn hatte eine zeitnahe Auslieferung angekündigt. Bei Astrazenca bezeichnete Cichutek die bestehende Möglichkeit auch für Unter-60-Jährige als «vernünftig», sich über mögliche Risiken zu informieren und mit dem Arzt darüber zu beraten. Bayern, Berlin, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern hatten mitgeteilt, dass Praxen den Astrazeneca-Impfstoff allen spritzen können. Im Regelfall soll er sonst Über-60-Jährigen verimpft werden.
MEHR RECHTE FÜR GEIMPFTE:
Welche Beschränkungen fallen für Geimpfte weg? Diese ethisch heikle Frage soll laut Spahn bei der geplanten Ministerpräsidentenkonferenz an diesem Montag mit im Zentrum stehen. Ein Aspekt sei: «Wie behandele ich vollständige Geimpfte in Relation zu tagesaktuell negativ Getesteten?» Voller Impfschutz könne einem negativen Testergebnis gleichgestellt werden. Das betrifft laut Spahn etwa den Wegfall der Quarantänepflicht nach einem Kontakt zu einem Infizierten, die Regeln bei Einreiseverordnungen und bei Öffnungsschritten etwa für Geschäfte.
Eine andere Frage sei: «Darf man jemandem, der vollständig geimpft ist, noch Kontaktbeschränkungen auferlegen?» Die Regierung bereite für die Runde der Länderchefs eine Übersicht zu den Rechtsfragen vor. Ob es zu Entscheidungen komme, sei offen. Mögliche Umsetzungen könnte der Bund mit der neu im Infektionsschutzgesetz eingeführten Ermächtigung für Verordnungen treffen – mit Zustimmung von Bundestag und Bundesrat.
IMPFSTOFF AUF HALDE:
Ärztepräsident Klaus Reinhardt kritisierte beim Redaktionsnetzwerk Deutschland, dass «mehr als fünf Millionen Impfdosen ungenutzt gelagert» würden. Spahn wies das zurück. Bis zur nächsten Lieferung zu Wochenbeginn würden zwei von aktuell vier Millionen zurückgehaltenen Dosen verimpft. Die übrigen seien verplant. Vom Astrazenenca-Vakzin seien wenige 100.000 unverimpft. Der Zuspruch bei Astrazeneca sei zwar etwas gesunken. Doch seiner Einschätzung nach würden Millionen Menschen ihn nehmen, sobald genug davon geliefert werde, sagte Spahn. Bei den Über-60-Jährigen sollte Astrazeneca nach Ansicht des Ministers bevorzugt zum Einsatz kommen - doch allein mengenmässig würden für sie auch die anderen Impfstoffe gebraucht.
WIE WEITER BEI DER IMPFKAMPAGNE?
Ein Grossteil der EU-Bürger kann nach Einschätzung von der Leyens deutlich früher gegen das Coronavirus geimpft werden als ursprünglich gedacht. Sie sei zuversichtlich, dass es im Juli genügend Impfstoff gebe, um 70 Prozent der Erwachsenen in der EU zu impfen, sagte sie in Puurs. Bislang war dieses Ziel für den 21. September angepeilt.
Spahn erklärte in Berlin, dass im Lauf des Juni mit einem Ende der bisherigen festen Impfreihenfolge in Deutschland zu rechnen sei. Das bedeute nicht, dass allen gleich ein Termin gegeben werden könne. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz warnte, dann forderten aber immer mehr Menschen ihre Impfung ein. Die Büchse der Pandora würde geöffnet.
Spahn zeigte sich insgesamt optimistisch. «Was mich zuversichtlich macht, ist, dass unser Hauptlieferant Biontech sehr zuverlässig liefert.» Von rund 80 Millionen Dosen kämen 50 Millionen von diesem Hersteller. Auch Astrazeneca und Johnson & Johnson wollten ihre Quartalszusagen einhalten. Im Juni kämen die Impfungen durch die Betriebsärzte hinzu. 22,2 Prozent der Bevölkerung sind derzeit mindestens einmal geimpft.
SPUTNIK V:
Unklar ist noch, ob der russische Impfstoff Sputnik V in Deutschland eingesetzt wird. Voraussetzung sei eine Zulassung in der EU, für die noch Herstellerdaten geliefert werden müssten, so Spahn. Der Impfstoff müsse auch rechtzeitig kommen, so dass er überhaupt noch einen Unterschied mache. Aussenminister Heiko Maas (SPD) sagte bei einem Besuch in Belgrad, im Moment scheine «die mediale Aufmerksamkeit für die 30 Millionen Impfdosen aus Russland - wenn sie denn kommen - ein bisschen hoch». Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hatte gesagt, dass Deutschland 30 Millionen Dosen von Sputnik V erwerben wolle.
EIN LEBEN OHNE CORONA?
Durch die Impfungen kann Corona nach Einschätzung des Robert Koch-Instituts (RKI) absehbar nicht ausgelöscht werden. Corona werde sich als Virus etablieren, mit dem man umgehen könne. Eventuell werde es sich saisonal immer wieder stärker verbreiten. RKI-Vize Lars Schaade meinte, eine «Grundimmunität» sei erreichbar. Es werde auch Gruppen geben, die nicht geimpft werden könnten oder wollten oder bei denen Impfungen wegen Vorerkrankungen nicht so stark anschlügen. Etwa Impfungen für Kinder sind noch nicht möglich. Das Präparat von Biontech/Pfizer ist ab 16 zugelassen. Noch liegen Ergebnisse von Studien zu Biontech und Moderna mit Kindern nicht vor.