Gericht entlastet Meyer Werft 25 Jahre nach Untergang der «Estonia»
Fast 25 Jahre nach dem Untergang der Ostseefähre «Estonia» mit 852 Toten hat ein Gericht die deutsche Meyer Werft entlastet: Die Richter in Nanterre bei Paris wiesen am Freitag Schadenersatzklagen gegen die Papenburger Werft in Millionenhöhe ab. Auch eine Schuld der französischen Schiffsprüfgesellschaft Bureau Veritas lässt sich demnach nicht nachweisen.
Das Wichtigste in Kürze
- Zivilklagen in Höhe von mehr als 40 Millionen Euro abgewiesen.
Die mehr als tausend Kläger, darunter Überlebende und Hinterbliebene der Opfer, hatten mehr als 40 Millionen Euro verlangt. Sie zeigten sich enttäuscht.
Die Kläger hätten keinen Beweis für «ein schwerwiegendes Fehlverhalten» der Meyer Werft oder der französischen Schiffsprüfer Bureau Veritas erbracht, urteilte das Gericht. Damit bleibt die Schuldfrage auch fast 25 Jahre nach dem Unglück von 1994 ungeklärt. Der Untergang der «Estonia» gilt als die grösste zivile Schiffskatastrophe, seit die «Titanic» 1912 nach dem Zusammenstoss mit einem Eisberg sank.
Der Klägeranwalt François Lombrez nannte das Urteil «hart» und «sehr enttäuschend». Er schloss Rechtsmittel gegen die Entscheidung nicht aus. Die Kläger sollen nach dem Urteil auch insgesamt gut 100.000 Euro Gerichtskosten für die Meyer Werft und das Bureau Veritas tragen.
Die Autofähre war in der Nacht auf den 28. September 1994 auf der Fahrt von der estnischen Hauptstadt Tallinn nach Stockholm bei stürmischer See gesunken. Eine Untersuchung ergab, dass die Bugklappe der «Estonia» schwere Konstruktionsmängel aufwies; sie riss bei dem Unglück ab. Die Meyer Werft und die Schiffsprüfer bestritten jedoch eine Mitverantwortung.
Die 1116 Kläger forderten für immaterielle Schäden insgesamt 40,8 Millionen Euro. Die Überlebenden machten unter anderem Todesangst und andere psychische Probleme geltend. «Dieses Schiff war nicht fahrtüchtig», sagte einer der Anwälte der Kläger bei der zweitägigen Gerichtsverhandlung im April. «Aber niemand hat seine Arbeit gemacht.»
Die internationale Untersuchung im Jahr 1997 hatte ergeben, dass die Schliessvorrichtungen der Bugklappe zu schwach waren. Deshalb riss die Klappe während der Fahrt der «Estonia» bei hohem Wellengang ab, wodurch Wasser über die Fahrzeug-Bugrampe rasch ins Innere dringen konnte. Das Schiff sank innerhalb einer halben Stunde.
Die damalige schwedisch-estnische Reederei EstLine zahlte nach dem Unglück 130 Millionen Euro Entschädigung. Die gut 130 Überlebenden und Angehörige der Opfer pochten aber auf weitere Aufklärung und Wiedergutmachung für psychische Schäden.
Schon in den Jahren nach dem Untergang strengten sie Zivilklagen gegen die friesische Meyer Werft an, die die «Estonia» gebaut hatte. Dabei ging es auch um eine Mitschuld des französischen «Schiffs-TÜVs» Bureau Veritas, der die Fähre als seetüchtig eingestuft hatte. Der Gang durch die französischen Instanzen dauerte mehr als 20 Jahre. Das Verfahren fand nun im Pariser Vorort Nanterre statt, da das Bureau Veritas dort seinen Sitz hat.
Die «Estonia» liegt rund hundert Kilometer vor der finnischen Küste in 85 Meter Tiefe auf Grund. Die skandinavischen Behörden verweigerten sich einer Bergung der Fähre, die eine genauere Untersuchung ermöglicht hätte. Tauchgänge zur Fähre sind bis heute verboten.
Dies gab zahlreichen Verschwörungstheorien Nahrung. Unter anderem wurde über eine mögliche Explosion an Bord spekuliert. Schweden räumte ein, dass auf der Fähre im Jahr 1994 zwei Mal militärische Ausrüstung aus Russland transportiert worden war. Ermittler in Estland wiesen die Hypothese einer Explosion jedoch zurück.