Gesundheitsexperten fordern dringend Massnahmen gegen Polio
Polioviren wurden kürzlich in mehreren europäischen Ländern nachgewiesen, was Gesundheitsexperten beunruhigt.
Angesichts einer «ungewöhnlich hohen Zahl» an Poliovirus-Nachweisen in mehreren Ländern Europas mahnen Gesundheitsexperten zur äussersten Wachsamkeit. «Es ist von grösster Bedeutung, dass wir jede Einschleppung eines schädlichen Poliovirus nach Europa als Weckruf betrachten.» Dies schreiben der Regionaldirektor für Europa bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Hans Kluge, und die Direktorin des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC), Pamela Rendi-Wagner.
«Polio mag für viele in Vergessenheit geraten sein, aber es ist nicht verschwunden, und es stellt immer noch eine Gefahr für die Ungeimpften in Europa und allen anderen Regionen der Welt dar», so die Experten. In mehreren deutschen Städten sowie an Orten in Spanien, Polen, Grossbritannien und Finnland wurden kürzlich Polioviren in Abwasserproben entdeckt. Die Schweiz gilt seit Anfang der 1990er-Jahre als poliofrei.
Nicht Wildtyp-Poliovirus, sondern Impfviren
Bei den Erregern handelt es sich demnach nicht um den Wildtyp des Poliovirus, sondern um Viren, die auf die Schluckimpfung gegen Kinderlähmung mit abgeschwächten, aber lebenden Polio-Erregern zurückgehen. Die abgeschwächten Impfviren können von Geimpften bis zu sechs Wochen lang ausgeschieden und weiterverbreitet werden. Sie können sich so verändern, dass sie unzureichend geimpfte Menschen potenziell krank machen können.
Die Schluckimpfung wird in Deutschland nicht mehr genutzt. Poliomyelitis ist eine hoch ansteckende Krankheit. Vollständig Geimpfte sind sehr gut gegen eine Erkrankung geschützt. Für nicht ausreichend geimpfte Personen kann eine Erkrankung zu dauerhaften Lähmungen führen.
Keine bekannten Verdachtsfälle
Verdachtsfälle auf die Krankheit waren zuletzt weder in der Schweiz noch in betroffenen Ländern in Europa bekannt. Das ECDC schätzt, dass zwischen 2012 und 2021 etwa 2,4 Millionen Kinder in Europa im Alter zwischen 12 und 23 Monaten nicht die drei erforderlichen Impfdosen erhalten haben. Nach aktualisierten Schätzungen kämen für die Jahre 2022 und 2023 weitere 600'000 Kinder hinzu, die möglicherweise nicht geimpft worden seien.
«Eine Zukunft ohne Polio bleibt unser Ziel, aber es ist keineswegs eine Gewissheit», meinen Rendi-Wagner und Kluge. Jedes Land müsse daher aufmerksam bleiben, um Polioviren frühzeitig zu entdecken.
Dafür seien gute Überwachungssysteme wichtig. Wenn sich das Virus ausbreite, müssten Länder in der Lage sein, schnell zu reagieren. Ausserdem sei es wichtig, jedes Jahr hohe Impfquoten zu erzielen – bis Polio weltweit ausgerottet sei.