Institute: Aufschwung verzögert sich - Rat zu späterer Rente
Nach dem steilen wirtschaftlichen Abschwung wegen Corona lässt der Aufschwung auf sich warten. Wirtschaftsminister Altmaier ist aber positiv gestimmt. Auch langfristige Probleme geraten in den Blick.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Corona-Krise reisst ein tiefes Loch in den Staatshaushalt, gleichzeitig gibt es wegen der älter werdenden Bevölkerung bald immer weniger Erwerbstätige.
Deshalb raten die führenden Wirtschaftsinstitute zu einem späteren Beginn der Rente.
Es werde eine Herausforderung, die Staatsfinanzen nach der Pandemie wieder auf eine solide Basis zu stellen, schreiben sie in ihrer am Donnerstag vorgelegten Frühjahrsprognose. Vor allem die perspektivisch steigenden Ausgaben für die Rentenversicherung spielten dabei eine grosse Rolle.
«Die eleganteste Lösung wäre eine langsame, schrittweise Erhöhung des Renteneintrittsalters», sagte Oliver Holtemöller vom Institut für Wirtschaftsforschung (IWH). Ein höheres Rentenalter könne die Staatsfinanzen stützen, ohne bei wichtigen Zukunftsinvestitionen auf die Bremse treten zu müssen. Ebenfalls helfen könnte aus Sicht der Wirtschaftsforscher eine stärkere Zuwanderung auf dem Arbeitsmarkt.
Wegen der dritten Infektionswelle trifft die Corona-Pandemie die Wirtschaft härter als noch im Herbst angenommen. Die Experten rechnen damit, dass die Wirtschaftslage noch bis zum Ende des Lockdowns vor allem im Dienstleistungssektor schwierig bleibt. Eine Lockerung der Massnahmen sei erst gegen Mitte des Jahres zu erwarten. Dann aber werde sich das wirtschaftliche Geschehen in vielen Bereichen rasch normalisieren. Bis Jahresende könne der Aufholprozess abgeschlossen sein.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) zeigte sich zuversichtlich: «Wir können in diesem Jahr den Wirtschaftseinbruch nicht nur stoppen, sondern umkehren und im nächsten Jahr wieder alte Stärke erreichen.» Trotz des langen und schweren Pandemieverlaufs sei die Wirtschaft in einer robusten Verfassung. Schon ab Mitte des zweiten Quartals werde der Erholungsprozess durch den fortschreitenden Impfprozess einen Schub bekommen.
Trotz dieser Aussichten korrigierten die Institute ihre Prognose nach unten. Sie erwarten, dass die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um 3,7 Prozent zulegt - noch im Herbst hatten sie mit 4,7 Prozent gerechnet. Die Bundesregierung hatte ihre eigene Prognose unter dem Eindruck der zweiten Corona-Welle zuletzt auf 3,0 Prozent gesenkt. Am 27. April will sie die sogenannte Frühjahrsprojektion vorstellen, in die auch Prognosen der Institute einfliessen soll. Altmaier geht davon aus, dass der Wert dann wegen der Hilfsmassnahmen und der guten Industrieentwicklung «deutlich über den bisherigen Prognosen der Bundesregierung liegt».
Besonders die Industrie sei robust, sagte der Wirtschaftsminister. Das hänge damit zusammen, dass internationale Lieferketten in der zweiten Welle nicht zerbrochen seien. Die Industrie profitiert vor allem von der Nachfrage aus China und den USA, wo sich die Wirtschaft zuletzt besser entwickelte als in Europa. Diese beiden Länder seien auch die «Zugpferde für die Weltwirtschaft», sagte Klaus Weyerstrass vom Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien.
Der Dienstleistungssektor steht in Deutschland hingegen weitgehend still. Viele Bürger verzichteten gerade aufs Geldausgeben, auch um sich vor Infektionen zu schützen. Der erhoffte Aufschwung im zweiten Halbjahr dürfte nach Einschätzung der Institute vor allem stark vom Erfolg der Impfkampagne und damit verbundenen Lockerungen der Corona-Regeln abhängen.
Nicht alle blicken so positiv wie Altmaier auf die Diagnose. «Dass die Konjunkturprognose nach unten korrigiert werden musste, zeigt deutlich: Die Bundesregierung muss endlich die Weichen für mehr Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätze stellen», sagte FDP-Fraktionsvize Michael Theurer. Es stünden vor allem im Dienstleistungssektor abertausende Arbeitsplätze auf dem Spiel.
Altmaier wandte sich vor diesem Hintergrund auch gegen Steuererhöhungen für Vermögende. Es sei «Gift für die wirtschaftliche Entwicklung und damit für die Arbeitsplätze», wenn mitten in der Krise neue Belastungen für Unternehmen hinzukämen. «Ich bin sehr dafür, dass wir in dieser akuten Phase der Pandemie Bekämpfung keine neuen Verunsicherungen wecken», betonte er.
Sobald die staatlichen Hilfsmassnahmen für Unternehmen auslaufen, wird nach Erwartung der Institute auch die Zahl der Insolvenzen ansteigen. Eine Pleitewelle sei aber nicht zu erwarten - auch wenn die bisher niedrigen Insolvenzzahlen vor allem auf die staatlichen Hilfen und das Aussetzen der Anmeldepflicht zurückzuführen seien. In der Corona-Pandemie sei die Zahl der Insolvenzen sogar ungewöhnlich zurückgegangen, sagte Oliver Holtemöller vom IWH. «Das spricht dafür, dass Unternehmen gerettet worden sind, die es ohne die Krise gar nicht mehr gegeben hätte.» Die Pflicht, einen Insolvenzantrag zu stellen, ist unter bestimmten Voraussetzungen noch bis Ende April ausgesetzt.
Die sogenannte Gemeinschaftsdiagnose der Institute wird zweimal im Jahr im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums erstellt, im Frühjahr sowie im Herbst.