Internationaler Strafgerichtshof vor der Zerreissprobe
Ab Montag treffen sich in Den Haag die Vertragsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofs zur Jahreskonferenz.
Überschattet vom Konflikt um den Haftbefehl gegen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu kommen ab Montag die Vertragsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag zu ihrer Jahreskonferenz zusammen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Konferenz:
Der Internationale Strafgerichtshof hatte gegen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und seinen Ex-Verteidigungsminister Joav Galant Haftbefehle wegen mutmasslicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gazastreifen erlassen. Es ist der erste internationale Haftbefehl gegen einen westlichen Regierungschef, und der sorgte für heftige internationale Kritik. Nun kommen die Vertreter der 124 Vertragsstaaten des Gerichtshofes zur Jahreskonferenz zusammen. Der Fall Netanjahu wird zur Zerreissprobe.
Der Internationale Strafgerichtshof mit Sitz in Den Haag verfolgt Verdächtige wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Aggressions-Krieg. Auch Staats- und Regierungschefs können sich nicht auf Immunität berufen. Im November erliessen die Richter Haftbefehle gegen Netanjahu, seinen Ex-Verteidigungsminister Galant sowie den Militärchef der Terrororganisation Hamas. Der Gerichtshof beruht auf einem Grundlagenvertrag, dem Römischen Statut, dem 124 Staaten beigetreten sind – die Vertragsstaaten. Auch die Schweiz ist Mitglied des Römer Statuts.
Haftbefehle gegen Netanjahu nur durch Mitgliedsstaaten vollstreckbar
Die Staaten können zwar nichts gegen die Entscheidung der Richter tun, denn die sind unabhängig. Doch das Gericht hat keine Polizeimacht, um die Haftbefehle auch zu vollstrecken. Das müssen die Mitgliedsstaaten tun. Sie sind verpflichtet, die Gesuchten wie Netanjahu festzunehmen, wenn sie sich auf ihrem Hoheitsgebiet befinden.
Aber einige Staaten äusserten bereits Bedenken. Und Frage ist, ob sie ihre Bündnistreue zu Israel höher bewerten als das internationale Recht.
Der Fall Netanjahu droht zur Zerreissprobe für das Gericht zu werden. Es geht um seine Glaubwürdigkeit. Denn die Justiz muss über den Parteien und über geopolitischen Interessen und Freundschaften stehen. Die Vertragsstaaten stehen nun aber vor der Frage, ob Ermittlungen gegen einen westlichen Regierungschef ebenso unparteiisch bewertet werden wie gegen andere Verdächtige.
Gaza-Krieg als Testfall für den Internationalen Strafgerichtshof
Bisher war die Unterstützung gerade aus dem Westen gross. Aber es gab auch noch nie Verfahren zu Verbrechen in westlichen Staaten, sondern vorwiegend in Afrika. Daher wurde dem Gericht gerade von diesem Kontinent Einseitigkeit vorgeworfen. Für sie wird der Fall zum Gaza-Krieg zum Testfall: Bleibt der Westen hinter dem Gericht stehen oder knickt er ein, wenn es einen von ihnen trifft?
Das sind Israel und die USA. Beide sind zwar keine Vertragsstaaten, können aber auf ihre Verbündeten Druck ausüben. Und die USA könnten auch Sanktionen verhängen gegen Richter oder Ankläger. Dazu gibt es bereits Pläne.
Internationale Reaktionen auf Haftbefehl gegen Netanjahu
Die sind gespalten. Kanada, Italien und die Niederlande – Gastland des Gerichts – erklärten sofort, dass sie ihrer Verpflichtung nachkommen und also Netanjahu bei einem Besuch festnehmen würden. Andere äusserten sich zurückhaltend. Frankreich etwa sagte, man werde das Recht respektieren.
Zugleich zweifelte Paris, ob Netanjahu nicht doch Immunität geniesse. Eindeutig war Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán: Er sprach demonstrativ eine Einladung an Netanjahu aus und will den Haftbefehl ignorieren.
Ein solcher Fall kann an die Konferenz der Vertragsstaaten übergeben werden, die über Konsequenzen entscheidet. Zuletzt hatte sich übrigens die Mongolei geweigert, den russischen Präsidenten Wladimir Putin bei einem Besuch in dem Land festzunehmen. Das Gericht hatte auch gegen Putin Haftbefehl erlassen wegen des Ukrainekrieges. Auch um diesen Fall soll es nun in Den Haag gehen.