Justiz macht Luftverschmutzung für Tod von Mädchen in London mitverantwortlich
Die britische Justiz hat in einem wegweisenden Urteil die Luftverschmutzung in London für den Tod eines neunjährigen Mädchens mitverantwortlich gemacht.
Das Wichtigste in Kürze
- Urteil ist ein Präzedenzfall in der britischen Justizgeschichte.
Die schlechte Luftqualität habe «wesentlich beigetragen» zum Tod der kleinen Ella Adoo-Kissi-Debrah im Jahr 2013, befand der stellvertretende Untersuchungsbeamte für den Inner South Coroner?s Court, Philip Barlow, am Mittwoch nach knapp zweiwöchigen Anhörungen zu dem Fall.
Die Neunjährige war im Februar 2013 nach einer schweren Asthma-Attacke gestorben. In den drei Jahren zuvor musste sie fast 30 Mal mit Atembeschwerden ins Krankenhaus. Ihre Wohnung lag an einem vielbefahrenen Strassenring im Stadtteil Lewisham.
Eine erste gerichtsmedizinische Untersuchung im Jahr 2014 hatte ergeben, dass Ella an akuter Atemnot aufgrund ihres schweren Asthmas gestorben war. Diese Erkenntnisse wurden im vergangenen Jahr jedoch angezweifelt, und eine neue Untersuchung wurde angeordnet.
Der mit der Untersuchung des Todes beauftragte Vize-Coroner kam nun zu einem anderen Ergebnis. Ella sei «Stickstoffdioxidwerten ausgesetzt» gewesen, die «über den Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) lagen», urteilte Barlow. Dies sei immer wieder Auslöser von Asthma-Anfällen gewesen und habe gleichzeitig das Asthma des Mädchens weiter verschlimmert.
Ausdrücklich wies er zudem darauf hin, dass es damals ein «bekanntes Versagen» gab, diese Werte zu reduzieren. Darüberhinaus sei die Mutter der Kleinen über die Zusammenhänge nie aufgeklärt worden.
Ellas Mutter Rosamund Adoo-Kissi-Debrah hatte während der Anhörung ausgesagt, sie wäre sofort umgezogen, wären ihr die Gefahren der Luftverschmutzung für die Gesundheit ihrer Tochter bewusst gewesen. So hätte sie jedoch nur noch in Angst vor dem nächsten Asthma-Anfall gelebt.
Einmal musste das Mädchen in ein künstliches Koma versetzt werden, um ihren Zustand zu stabilisieren. Im Jahr 2012 wurde Ella schliesslich als behindert eingestuft, und ihre Mutter musste sie häufig auf ihrem Rücken tragen. Im Jahr darauf starb sie.
Der Experte Stephen Holgate wies in der Anhörung auf eine «auffällige Übereinstimmung» der Zeiten hin, an denen das Stickstoffdioxid und die Feinstaubpartikel in der Luft Höchstwerte erreichten und Ella zur Behandlung ins Krankenhaus musste. Wegen der schlechten Luftqualität in ihrer Nachbarschaft führte sie ein Leben «auf Messers Schneide», jede kleinste Veränderung «konnte dramatische Konsequenzen» haben.
Die Anwälte von Ellas Familie hatten den Behörden von Lewisham vorgeworfen, Massnahmen gegen die zunehmende Luftverschmutzung verschleppt zu haben. Nach der Messung der schlechten Luftqualität dauerte es drei Jahre, bis der Stadtteilrat einen Aktionsplan entwickelte und dann nochmal vier Jahre, bis dieser formal verabschiedet wurde.
Ellas Mutter hatte während der Anhörungen gesagt, sie hoffe, dass das Urteil «das Leben von Kindern künftig verbessern» werde. Die Behörden seien nun dringend aufgefordert, etwas gegen die anhaltende Luftverschmutzung zu unternehmen.
Die Co-Vorsitzende der britischen Grünen, Caroline Lucas, sprach von einem «bahnbrechenden Urteil», das endlich die «tödlichen Auswirkungen der Luftverschmutzung» anerkenne. Die Britische Lungenstiftung sowie die Vereinigung Asthma UK erklärten, das Urteil könne zu einem grundlegenden Wandel der Regierungspolitik führen.
Nach Angaben des Londoner Stadtrats werden fast im gesamten Stadtgebiet die von der WHO empfohlenen Grenzwerte für Luftverschmutzung überschritten. Expertenschätzungen zufolge gehen jährlich zwischen 28.000 und 36.000 Todesfälle im Vereinigten Königreich auf schlechte Luftqualität zurück.