Kreml will Putin als haushohen Wahlsieger feiern
Nach Auszählung von 98 Prozent der Stimmzettel erhält Wladimir Putin laut der Wahlkommission mehr als 87 Prozent.
Nach einer als Farce kritisierten Präsidentenwahl in Russland wird der Machtapparat an diesem Montag Kremlchef Wladimir Putin als haushohen Sieger feiern. Nach Auszählung von 98 Prozent der Stimmzettel erhält der 71-Jährige, der seit rund einem Vierteljahrhundert an der Macht ist, laut der Wahlkommission mehr als 87 Prozent.
Dabei handelt es sich zwei Jahre nach Beginn von Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine um ein Rekordergebnis, das allerdings Beobachtern zufolge nur durch Repression, Zwang und Betrug erreicht worden sein soll. Schon vor Beginn der dreitägigen Abstimmung am vergangenen Freitag hatten auf dem Roten Platz in Moskau Vorbereitungen für eine grosse Siegesfeier begonnen.
Putin, der sich nun mindestens sechs weitere Jahre an der Macht gesichert hat und laut eigens von ihm geänderter Verfassung auch 2030 noch einmal kandidieren darf, dürfte das Ergebnis trotz aller Kritik als Bestätigung seines antiwestlichen und autoritären Kurses präsentieren.
Putin schliesst umfassenden Konflikt mit Nato nicht aus
So erklärte er am Sonntagabend, ein umfassender Konflikt mit der Nato sei nicht auszuschliessen, und in diesem Fall wäre die Welt nur einen Schritt von einem Dritten Weltkrieg entfernt. «Ich halte es für unwahrscheinlich, dass irgendjemand daran interessiert ist», wurde Putin weiter von der Staatsagentur Tass zitiert. Nach Putins Worten sind in der Ukraine bereits zahlreiche Soldaten aus den Mitgliedsstaaten der Nato im Einsatz. «Das wissen wir bereits», sagte er. Man habe bereits Französisch und Englisch vernommen. «Das ist nichts Gutes, vor allem für sie, denn sie sterben dort in grosser Zahl», sagte Putin – ohne diese Behauptung zu belegen.
Nach der Abstimmung befürchten viele Russen eine neue Mobilmachung Hunderttausender Reservisten für die Kämpfe gegen die Ukraine. Auch innenpolitisch könnten die Daumenschrauben im Land noch einmal deutlich stärker angezogen werden, um den an den drei Wahltagen sichtbaren Protest von Putins Gegnern zu ersticken.
Bemerkenswerte Protestwelle
Die Beteiligung bei der von einer bemerkenswerten Protestwelle begleiteten Wahl wurde mit über 74 Prozent angegeben – ebenfalls ein Rekord. Während der Abstimmung wurden allerdings zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen etwa Angestellte von Staatsbetrieben zur Stimmabgabe gedrängt und teils sogar aufgefordert wurden, ihre ausgefüllten Wahlzettel abzufotografieren. Kritiker beklagten zudem, dass insbesondere das Online-Verfahren leicht manipulierbar sei. Ebenfalls dokumentiert wurde, wie massenhaft vorab ausgefüllte Stimmzettel in Wahlurnen gestopft wurden.
Ausserdem leben von den 114 Millionen Menschen, die Moskau zur Wahl aufrief, mehr als 4,5 Millionen in den vier ukrainischen Gebieten Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja, die Russland im Zuge des Kriegs völkerrechtswidrig annektierte. Wahlen sind dort illegal und werden international nicht anerkannt.
Beobachter haben die von Protesten begleitete Abstimmung auch deshalb als undemokratisch eingestuft, weil keine echten Oppositionskandidaten zugelassen waren. Putins drei Mitbewerber waren nicht nur alle auf Kremllinie, sondern galten auch von vornherein als komplett chancenlos.
Zudem gibt es in Russland keine Versammlungsfreiheit, und die vom Kreml gesteuerten Medien sind gleichgeschaltet. Unabhängige Medien werden politisch verfolgt. Andersdenkende, die Putins Krieg gegen die Ukraine oder den Machtapparat kritisieren, riskieren Strafen bis hin zu Lagerhaft.
Aus all diesen Gründen hatten am letzten Wahltag in ganz Russland Tausende Menschen den staatlichen Einschüchterungsversuchen getrotzt und an einer stillen Widerstandsaktion teilgenommen: Um exakt 12.00 Uhr Ortszeit versammelten sie sich in vielen Städten unter dem Motto «Mittag gegen Putin» vor ihren jeweiligen Wahlbüros. So wollten sie ihren Unmut zum Ausdruck bringen und zeigen, dass sie gegen den Krieg sind. Obwohl die Aktion friedlich und ruhig verlief, wurden Bürgerrechtlern zufolge bis zum Abend mindestens 85 Menschen festgenommen.
Auch im Ausland gab es zahlreiche Protestaktionen vor russischen Botschaften und Konsulaten. In Berlin erschien überraschend die Witwe des kürzlich im Straflager ums Leben gekommenen Kremlgegners Alexej Nawalny, Julia Nawalnaja. Sie betrat auch die Botschaft – und erklärte danach, den Namen ihres verstorbenen Mannes auf den Wahlzettel geschrieben zu haben.
Selenskyj spricht Putin jede Legitimität ab
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach Putin «jede Legitimität» ab. «Diese Wahlfälschung hat keine Legitimität und kann keine haben», sagte Selenskyj in seiner in Kiew verbreiteten abendlichen Videoansprache. «Diese Figur (Putin) muss auf der Anklagebank in Den Haag landen – dafür müssen wir sorgen, jeder auf der Welt, der das Leben und den Anstand schätzt.» Wegen des Vorwurfs der Kriegsverbrechen in der Ukraine gibt es einen Haftbefehl des Weltstrafgerichts in Den Haag gegen Putin.
Deutsche Aussenpolitiker erhoben ebenfalls schwere Vorwürfe gegen Putin. «Es handelt sich um die unfreiesten Fake-Wahlen seit Ende der Sowjetunion», sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth (SPD), dem «Tagesspiegel» (Montag). «Putins Regime hat faschistische und totalitäre Züge.» Der CDU-Aussenpolitiker Norbert Röttgen sprach von einer «Farce,» die der Scheinlegitimierung des Kriegs Putins gegen die Ukraine diene.