Maas besucht die Trümmer im Beiruter Hafen
Die verheerende Explosion in Beirut hat auch die deutsche Botschaft schwer getroffen. Aussenminister Maas reist in die libanesische Hauptstadt, um den Mitarbeitern beizustehen. Von seinem Besuch geht aber auch eine politische Botschaft aus.
Das Wichtigste in Kürze
- Es ist sicher einer der schwersten Jobs, die es in der libanesischen Hauptstadt Beirut derzeit zu erledigen gibt.
Jeden Tag geht die 22-jährige Farah zurück in die Trümmerwüste, dorthin, wo einmal der Hafen war.
Eigentlich ist sie Optikerin. Nun sucht sie aber mit 200 anderen Freiwilligen nach Menschen, die vor gut einer Woche durch die verheerende Explosion von fast 3000 Tonnen Ammoniumnitrat in einer Lagerhalle ums Leben kamen.
An diesem Mittwoch hat ihr Team schon sechs Leichenteile gefunden, obwohl es gerade erst Mittag ist. «Wahrscheinlich Feuerwehrleute», sagt Farah. Man müsse noch die DNA überprüfen.
Farah zählt zu den Helferinnen und Helfern, die Aussenminister Heiko Maas bei seinem Besuch am Explosionskrater trifft. Auf dem Weg dorthin sieht er Dutzende verformte Autos und Container, blanke Stahlgerüste, wo einmal Lagerhallen waren, meterhohe Trümmerhaufen. Nur ein riesiges Getreidesilo aus Beton konnte der Druckwelle widerstehen, es ist als mahnende Ruine zurückgeblieben.
Es ist ein apokalyptisches Bild, das sich Maas bietet. Eins, das an die Bilder vom 11. September 2001 in New York erinnert. «Es ist doch noch einmal etwas anderes, das mit eigenen Augen zu sehen», sagt der SPD-Politiker. «Das Mass an Verwüstung und an Zerstörung ist für Menschen, die in Deutschland leben, nahezu unvorstellbar.»
Deutschland hat am Wochenende 20 Millionen Euro Verfügung gestellt, um der notleidenden Bevölkerung zu helfen. Maas ist nach Beirut gekommen, um selbst zu sehen, wofür das Geld am sinnvollsten verwendet werden kann. Den ersten Scheck über eine Million Euro übergibt er gleich am Flughafen an das Rote Kreuz für Nahrungsmittel, Hygieneartikel, Werkzeug.
Bis zu 300.000 Menschen sollen in der libanesischen Hauptstadt durch die Explosionsschäden obdachlos geworden sein. Eine Frau zeigt ihm spontan ihr Haus. «Ich kann hier nicht bleiben, das zweite Stockwerk ist nicht sicher», sagt die 26-jährige Pamela. Maas verabschiedet sich von ihr mit einer Umarmung - trotz Corona, aber mit Maske.
Dann geht es weiter zum Regent Park Tower im Stadtteil Dekwaneh. Im 18. bis 24. Stock befindet sich die deutsche Botschaft. Oder besser gesagt: Sie befand sich bis zur Explosion dort. Die Räume wurden durch die Druckwelle schwer verwüstet. Die Statik des Gebäudes wird derzeit von Experten des Technischen Hilfswerks überprüft. Deswegen darf Maas das Gebäude auch nicht betreten - zu gefährlich.
Er trifft sich auf einem Parkplatz mit den etwa 160 Botschaftsangehörigen, die erstmals seit der Katastrophe wieder zusammenkommen. Vollzählig sind sie nicht mehr. Eine Mitarbeiterin überlebte die Explosion nicht. Eine Schwerverletzte wurde mit einem Spezialflugzeug der Bundeswehr zur Behandlung nach Deutschland ausgeflogen. So hart wurde schon lange keine deutsche Botschaft mehr getroffen.
Maas ist aber nicht nur in den Libanon gekommen, um seinen Mitarbeitern beizustehen oder mit Helfern zu sprechen. Ihm geht es auch darum, dass das Chaos auch als Chance für tiefgreifende Veränderungen in dem schon lange kriselnden Land genutzt wird. Deutschland ist bereit, daran mitzuwirken, lautet seine Botschaft.
Zusagen für den wirtschaftlichen Wiederaufbau sollen künftig aber mit der klaren Erwartung verbunden werden, dass politische Reformen in Gang kommen. Gegen Misswirtschaft und Korruption sind die Menschen im Libanon schon vor der Katastrophe auf die Strasse gegangen. Jetzt haben die Proteste zum Rücktritt der Regierung geführt.
Viele im Land hätten das Vertrauen in das politische System des Libanon verloren, sagt Maas. Der Protest auf der Strasse sei so gross, dass es «mit einem einfachen «Weiter so» und ein paar kosmetischen Veränderungen» nicht getan sei.
Doch die Machtverteilung zwischen den Sunniten, Schiiten und Christen im multikonfessionellen Libanon ist eine komplizierte und heikle Angelegenheit. Vielen gilt sie als unantastbar. Wahlen ändern an den realen Verhältnissen wenig.
Hinzu kommen die Interessen ausländischer Mächte, nicht zuletzt des Iran. Teheran sichert sich seinen Einfluss im Libanon über die schiitische Hisbollah-Organisation, die eine eigene Miliz besitzt und ganze Gebiete des Landes beherrscht. Gegen sie kann im Libanon kaum regiert werden.
Viele Libanesen haben diese Elite satt. Sie werfen ihr vor, den Libanon durch Misswirtschaft, Korruption und Selbstbereicherung in eine tiefe Wirtschafts- und Finanzkrise gestürzt zu haben. Die politische Führung habe das Land in einer Vetternwirtschaft gemeinsam mit ihren Kumpanen in der Wirtschaft ausgebeutet, schreibt die Direktorin des Carnegie Middle East Center, Maha Yahya.
Die Libanesen wissen aber auch: Häufig schon hat die Elite in der Vergangenheit mit blumigen Worten Reformen versprochen - und sie dann verschleppt. Am Ende waren es immer wieder dieselben Kräfte, Blöcke und Familien, die im Hintergrund die Fäden in der Hand behielten.