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Mordfall-Lübcke: Gericht zeigt Geständnis-Video

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Deutschland,

Tag zwei im Lübcke-Mordprozess: Das Gericht lässt eines der zentralen Beweismittel vorführen: Eine per Video dokumentierte Vernehmung von Stephan Ernst, in der dieser die Tat gesteht. Die Verteidigung meldet aber Zweifel an.

Angeklagter Stephan Ernst: «Es stand im Raum, dass man etwas machen muss.». Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters-Pool/dpa
Angeklagter Stephan Ernst: «Es stand im Raum, dass man etwas machen muss.». Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters-Pool/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Prozess um den Mord an Walter Lübcke ist mit einem zentralen Beweisstück fortgesetzt worden.

Am zweiten Verhandlungstag vor dem Oberlandesgericht Frankfurt wurde am Donnerstag eine stundenlange Videovernehmung des mutmasslichen Mörders Stephan Ernst gezeigt.

Darin gestand der Angeklagte den Mord. Später widerrief Ernst dieses Geständnis. Lübcke wurde Anfang Juni 2019 per Kopfschuss getötet. In dem Vernehmungsvideo, das am 25. Juni 2019 wenige Tage nach der Festnahme von Stephan Ernst entstand, schilderte der mutmassliche Mörder auch, warum der nordhessische Regierungspräsident in seinen Fokus geraten war.

Es ging um eine Bürgerversammlung im Oktober 2015 im nordhessischen Lohfelden, bei der Lübcke die Aufnahme von Flüchtlingen verteidigte. Als Reaktion auf Schmährufe aus dem Publikum sagte Lübcke damals: «Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist, das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.»

Den Vernehmungsbeamten berichtete Ernst von diesem Moment, den der Mitangeklagte Markus H. per Handyvideo dokumentiert und ins Internet gestellt hatte. «Ich war so baff, ich war fassungslos... In diesem Moment war er bei mir auf dem Schirm», sagte Ernst über Lübcke. «Es stand im Raum, dass man etwas machen muss.» Gespräche mit Kollegen hätten bei ihm den Eindruck verfestigt, Lübcke sei «ein übler Kerl». «Da hat sich was aufgebaut, das hat mich nicht mehr losgelassen.»

Die Kölner Silvesternacht 2015/2016, in der es zu zahlreichen sexuellen Übergriffen auf Frauen kam, sowie der islamistisch motivierte Lastwagenanschlag von Nizza im Juni 2016 mit Dutzenden Toten bezeichnete Ernst in der Vernehmung als «Schlüsselerlebnisse». Immer wieder habe er sich Videos dazu angesehen. «Ich denke, spätestens da, spätestens seit dem Anschlag von Nizza, habe ich den Entschluss gefasst, dem Herrn Lübcke was anzutun.»

Mehrfach vor der Tat sei er, teils mit Waffe, zu Lübckes Wohnhaus in dem kleinen nordhessischen Ort gefahren. Schon im Jahr 2017 habe er daran gedacht, Lübcke während der dortigen Kirmes zu töten. 2018 habe er im Dunkeln mit einer Waffe im Garten gesessen und Lübcke auf der Terrasse gesehen, aber nichts gemacht. Am Ende des Vernehmungsvideos bereute er die Tat, sie sei unverzeihlich.

Ernst hat das Geständnis inzwischen widerrufen. Im Januar sagte er erneut aus, änderte aber seine ersten Angaben erheblich ab. Die Ermittler bewerteten dieses zweite Geständnis nicht als glaubhaft, die Anklage beruht massgeblich auf den ersten Angaben von Ernst.

Frank Hannig, Verteidiger von Ernst, kritisierte die Verwendung des Videos als Beweismittel: «Es ist nicht rechtmässig zustande gekommen, es ist nicht vollständig.» So sei Ernst damals übermüdet gewesen, habe unter Einfluss eines Beruhigungsmittels gestanden. Ein langes Vorgespräch zum Geständnis sei nicht dokumentiert worden.

Ernst steht seit Dienstag als mutmasslicher Haupttäter vor dem Oberlandesgericht. Laut Anklage tötete er den CDU-Politiker Lübcke aus rechtsextremistischen Motiven. Dessen Familie war auch am zweiten Prozesstag im Gericht anwesend.

Der Vorführung des Videos gingen zahlreiche juristische Scharmützel zwischen den Verteidigern und dem Vorsitzenden Richter Thomas Sagebiel voraus. Anlass war eine Äusserung am ersten Prozesstag, als Sagebiel dem Angeklagten Ernst die Vorteile eines Geständnisses erläuterte. Dabei sagte er: «Hören Sie nicht auf Ihre Verteidigung, hören Sie auf mich.» Mustafa Kaplan, einer der Anwälte von Ernst, begründete einen neuen Befangenheitsantrag damit, dass es dem Gericht offenbar darum gehe, Unfrieden zwischen dem Angeklagten und seinen Verteidigern zu stiften.

Der Prozess fand auch am Donnerstag unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt - zum einen wegen seiner Bedeutung, zum anderen wegen der Corona-Pandemie. Das öffentliche Interesse war weiter hoch. Am frühen Morgen hatten sich erneut lange Schlangen vor dem Gerichtsgebäude gebildet. Wegen der Covid-19-Pandemie ist der Zugang für Besucher und Journalisten stark beschränkt.

Der Angeklagte sprach in dem Vernehmungsvideo unter anderem auch darüber, wie er sich 2010 von der rechtsextremen Szene abgewendet habe. Doch Überfremdungsängste und schliesslich die Flüchtlingskrise 2015 hätten ihn erneut radikalisiert.

Ein neuer Arbeitskollege und alter Bekannter aus der rechten Szene spielte laut Ernst eine entscheidende Rolle - und zwar der wegen Beihilfe zum Mord mitangeklagte Markus H.. Über ihn sagte Ernst in dem Video aber auch: «Man kann dieser Person nicht den Vorwurf machen, dass sie mich zu irgendetwas angestiftet hat. Was ich tat, habe ich aus eigenem Antrieb gemacht.» Der Prozess wird am 30. Juni fortgesetzt.

In Hessen soll bald auch die politische Aufarbeitung des Falls beginnen. Ein Untersuchungsausschuss im Landtag soll schon in der kommenden Woche in einer Plenarsitzung eingesetzt werden. Das Gremium könnte noch vor der Sommerpause zu seiner ersten Sitzung zusammenkommen.

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