Deutschland im Teil-Lockdown
Das Wichtigste in Kürze
- Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat am ersten Tag des Teil-Lockdowns gegen die Ausbreitung des Coronavirus die Menschen in Deutschland dazu aufgerufen, die neuen Regeln zu befolgen.
Sie zeigte Verständnis für den Unmut vieler Bürger über das erneute weitgehende Herunterfahren des öffentlichen Lebens im November - dies sei aber unabdingbar, um die Zahl der Neuinfektionen wieder zu senken. Zugleich machte die Kanzlerin deutlich, dass es auf absehbare Zeit keine Rückkehr zur Normalität der Vor-Corona-Zeit geben könne.
«Ob diese grosse gemeinsame Kraftanstrengung etwas bringt im Monat November, das hängt nicht nur von den Regeln ab, sondern vor allem auch davon, ob diese Regeln befolgt werden», sagte Merkel am Montag in Berlin in der Bundespressekonferenz nach einer Sitzung des Corona-Kabinetts. «Jeder und jede hat es in der Hand, diesen November zu unserem gemeinsamen Erfolg zu machen, zu einem Wendepunkt wieder zurück zu einer Verfolgbarkeit der Pandemie.»
Die Kanzlerin betonte, es gehe jetzt darum, die Zahl der Kontakte im täglichen Leben auf ein Viertel zu verringern. Ziel sei es, die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz - also wie viele Menschen pro 100.000 Einwohner sich innerhalb einer Woche neu infizieren - deutlich zu senken. «Wir müssen wieder runter in den Bereich von unter 50», sagte Merkel. Denn erst dann seien die Gesundheitsämter wieder in der Lage, Infektionsketten umfassend nachzuverfolgen und auch zu durchbrechen.
Von diesem Wert entfernt sich Deutschland derzeit immer weiter. Nach den Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) liegt der Wert aktuell bei 120,1. Vor vier Wochen, am 5. Oktober, betrug er 16,8. Die Gesundheitsämter meldeten laut RKI vom Montagmorgen 12.097 Corona-Neuinfektionen binnen eines Tages. Erfahrungsgemäss sind die Fallzahlen an Montagen niedriger - vor einer Woche hatte die Zahl 8685 betragen. Die Zahl der intensivmedizinisch behandelten Erkrankten verdreifachte sich in den vergangenen zwei Wochen fast von 769 auf 2061 Patienten, wie es im RKI-Lagebericht vom Sonntag heisst.
Merkel warnte: «Das ist exponentielles Wachstum, das uns mit zunehmender Geschwindigkeit auf eine akute Notlage in unseren Krankenhäusern zulaufen lässt.» Wenn es gelinge, im November die Ausbreitung des Virus zu bremsen, «dann schaffen wir uns die Voraussetzung dafür, einen erträglichen Dezember zu haben, natürlich weiter unter Corona-Regeln (...), aber wieder mit mehr Freiraum». Allerdings: «Es wird am 1. Dezember nicht die Normalität einkehren, wie wir sie vor Corona kannten.» Grossveranstaltungen und Partys werde es während der vier Wintermonate absehbar nicht geben. «Dass es die grossen, rauschenden Silvesterpartys gibt, das glaube ich nicht.»
In ganz Deutschland begann am Montag ein vierwöchiger Teil-Lockdown, der die zweite Corona-Welle brechen soll. Seit Mitternacht gilt in allen Bundesländern, dass Hotels und Restaurants, Kinos, Museen und Theater sowie andere Freizeiteinrichtungen weitestgehend geschlossen sind. Auch für persönliche Treffen gelten strengere Regeln: In den meisten Bundesländern dürfen nur noch zwei Haushalte zusammenkommen - teils gilt das sogar für Treffen im privaten Raum. Kitas, Schulen und Geschäfte bleiben im Gegensatz zum ersten Herunterfahren des öffentlichen Lebens im Frühjahr diesmal geöffnet.
Einer Umfrage zufolge sind die Menschen in Deutschland bereits zurückhaltender geworden, was das Treffen mit Freunden oder das Verlassen der Wohnung angeht. Wie aus dem am Montag veröffentlichten «Corona-Monitor» des Bundesinstituts für Risikoforschung (BfR) hervorgeht, wuchs der Anteil derer, die sich seltener mit Freunden oder Familienangehörigen treffen im Vergleich zu zwei Wochen davor von 65 auf 76 Prozent. 69 Prozent verlassen demnach seltener das eigene Zuhause - 10 Prozentpunkte mehr als noch zwei Wochen zuvor.
73 Prozent der Befragten halten das Risiko einer Ansteckung durch die Nähe zu anderen Menschen für mindestens hoch - der höchste Wert seit dem Frühjahr. Bei den Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie bewertet die deutliche Mehrheit der Menschen Abstandsregeln und Maskenpflicht als angemessen (96 und 92 Prozent - jeweils Höchstwerte).
Merkel verteidigte die Schliessung der Gastronomie im November und sagte den Betroffenen erneut schnelle Hilfe zu. Sie würden mit den Einnahmeausfällen nicht alleine gelassen, versicherte sie. Die Bundesregierung hatte bereits Nothilfen von zehn Milliarden Euro beschlossen. Die Hilfen sollten auch die Kultur erreichen, betonte Merkel. Zugleich betonte sie, dass die seit Juli geltende Senkung der Mehrwertsteuer nicht verlängert werde. Diese laufe automatisch zum Jahresende aus.
Merkel wollte sich nicht festlegen, wie es nach dem Teil-Lockdown im November weitergehen wird. Sie kündigte an, dass es am 16. November ein weiteres Gespräch mit den Ministerpräsidenten der Länder geben werde. Sollte sich herausstellen, dass die jetzt ergriffenen Massnahmen nicht ausreichen, um die Zahl der Neuinfektionen stark zu reduzieren, seien womöglich auch zusätzliche Einschränkungen nötig. Ausgangssperren wie in anderen Ländern wolle sie in Deutschland aber nicht haben, «wenn es irgendwie zu vermeiden ist».
Die Kanzlerin betonte, auch bei sinkenden Infektionszahlen würden die Hygiene- und Abstandsregeln weiter gelten - auch zu Weihnachten: «Es wird ein Weihnachten unter Corona-Bedingungen sein, aber es soll kein Weihnachten in Einsamkeit sein.»
Die AfD lehnt den Teil-Lockdown im November auf ganzer Linie ab. Die Fraktionsspitze schlug am Montag vor, stattdessen alte Menschen und Menschen, die aufgrund von Vorerkrankungen ein höheres Risiko haben, zu schützen. «Statt das ganze Land wieder herunter und damit gegen die Wand zu fahren, müssen wir uns auf den Schutz von Risikogruppen konzentrieren», sagte der Fraktionschef Alexander Gauland in Berlin.
Gegen die strengen Beschränkungen regt sich bereits in mehreren Bundesländern juristischer Widerstand. So gingen beim Berliner Verwaltungsgericht bislang 39 Eilanträge ein. Überwiegend kamen sie nach Angaben eines Sprechers von Gastronomen, die nicht hinnehmen wollen, dass sie ihre Lokale schliessen müssen. Der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Ralph Brinkhaus (CDU), geht jedoch davon aus, dass die neuen Regeln juristisch Bestand haben werden. Sie seien notwendig und verhältnismässig, sagte er dem Radiosender Bayern 2.