Olga Tokarczuk lauscht dem «Gesang der Fledermäuse»

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Kriminalroman, philosophische Fabel, Psychogramm einer Aussenseiterin: Die Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk wandelt zwischen den Genres und zeichnet die Konturen einer zerbrochenen Welt.

Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk auf der Frankfurter Buchmesse. Foto: Andreas Arnold/dpa
Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk auf der Frankfurter Buchmesse. Foto: Andreas Arnold/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Ihre Bücher lagen schon länger in deutschen Übersetzungen vor, aber erst mit dem Literaturnobelpreis bekommt die 1962 im polnischen Sulechów geborene Olga Tokarczuk jetzt die verdiente Aufmerksamkeit.

Es gilt eine grosse europäische Autorin zu entdecken, die uns einiges über die brüchige Verfasstheit unserer Gegenwart zu berichten hat. Im Züricher Kampa-Verlag werden die Romane und Erzählungen von Olga Tokarczuk jetzt neu aufgelegt.

Ein guter Einstieg in ihr Werk, aus dem das über 1000-seitige historische Panorama «Die Jakobsbücher» herausragt, bildet der 2009 erstmals in Polen erschienen Roman «Gesang der Fledermäuse». Wir lernen die wunderbar eigensinnige Ich-Erzählerin Janina Duszejko kennen, die auf einem Hochplateau an der polnisch-tschechischen Grenze lebt. Die ältere Frau lebt allein, hat nur wenige Nachbarn, und kümmert sich ansonsten im Winter um die Ferienhäuser der Städter. Ihre grosse Leidenschaft ist die Astrologie, Janina berechnet für alle Menschen, denen sie begegnet, die Horoskope. Im Dorf gilt sie als schrullige Alte, obwohl sie an der Schule Englischunterricht gibt und früher sogar Ingenieurin war. Zumindest behauptet sie das. Ihren klapprigen Wagen nennt sie «Samurai», als würde sie damit in den Krieg ziehen.

Der Roman beginnt mit dem Tod ihres Nachbarn Bigfoot, eines brutalen Jägers und Einzelgängers, der an einem Rehknochen erstickt ist. Janina dagegen respektiert die Tiere, isst kein Fleisch und verachtet die Ignoranz und Brutalität ihrer Mitmenschen gegenüber der Natur: «Hat eine Distel kein Recht auf Leben oder eine Maus, die in Lagerräumen Getreidekörner frisst? Bienen und Drohnen, Unkraut und Rosen», fragt sich die Ich-Erzählerin, für die alles Kreatürliche sein eigenes Recht besitzt.

Janina scheint sich immer mehr in ihre eigene Welt zurückzuziehen. Sie erforscht die ewige Ordnung der Sterne, aber auf der Erde sieht sie nur Defizite und Bruchstücke. Dann wird der örtliche Kommissar tot im Brunnen gefunden, und es folgen weitere mysteriöse Todesfälle. Alles Männer, alles Jäger, korrupte Gestalten. Für Janina liegt die Sache klar auf der Hand: Die Tiere rächen sich.

Klug hält der Roman, der ganz aus der eher diffusen Perspektive der Ich-Erzählerin geschrieben ist, die Balance zwischen einem Realismus, der die Härten des polnischen Winters schonungslos zeigt, und übernatürlichen Elementen, die in den Fugen dieser zerbrochenen Welt immer wieder aufblitzen. Janina ist wohl hochintelligent, hat aber nach Meinung der Leute einen «Sprung in der Schüssel». Sie erfindet Namen für ihre Nachbarn, nennt den lärmigen Ortsgeistlichen «Pfarrer Raschel» oder die nette Verkäuferin im Second-Hand-Laden «Buena Noticia». Und dann darf sich Janina sogar kurzzeitig in einen Käferforscher verlieben, ein Joint kommt dazu, es ist Frühling, und in den düsteren, aber auch humorvollen Roman fällt ein heller Sonnenstrahl.

Olga Tokarczuk jongliert meisterhaft mit den Genres, kombiniert Elemente des Kriminalromans mit philosophischen Passagen und dem faszinierenden Psychogramm einer Frau, die nicht verstehen mag, warum Menschen sich über die Natur stellen. Polen wird für sie dann zum «Land der neurotischen Individualisten», auch die katholische Kirche und deren Bigotterie kann sie nicht ausstehen. Bis zum überraschenden Finale entwickelt dieser «Gesang der Fledermäuse» schliesslich einen sirenenhaften Sog, dem man sich nicht entziehen kann.

Olga Tokarczuk, Gesang der Fledermäuse, Aus dem Polnischen von Doreen Daume, Kampa Verlag, Zürich, 307 S., 24 Euro, ISBN 978-3-311-10022-5

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