Beginn des Prozesses um Chemnitzer Messerattacke
Die Bluttat von Chemnitz und ihre Folgen haben die Stadt und Deutschland wochenlang in Atem gehalten. Nun beginnt der Prozess gegen einen Syrer. Die Verteidigung zweifelt an einem fairen Verfahren, der Staatsanwalt greift zu ungewöhnlichen Mitteln.
Das Wichtigste in Kürze
- Sieben Monate nach der tödlichen Messerattacke von Chemnitz und anschliessenden Ausschreitungen hat am Montag der Prozess begonnen.
Beschuldigt wird ein 23 Jahre alter syrischer Asylbewerber, gemeinsam mit einem flüchtigen Iraker einen 35-jährigen Deutschen mit mehreren Messerstichen getötet und einen anderen Mann lebensbedrohlich verletzt zu haben. Angeklagt sind Totschlag, versuchter Totschlag und gefährliche Körperverletzung. Der Angeklagte Alaa S. hatte die Tat stets bestritten. Zum Prozessauftakt äusserte er sich nicht selbst zu seiner Person oder zur Tat. Seine Verteidiger erklärten ihn für unschuldig.
Aus Sicherheitsgründen und wegen des grossen öffentlichen Interesses fand der Prozess nicht in Chemnitz statt, sondern wurde in den Sicherheitssaal des Oberlandesgerichts Dresden verlegt. Zuschauer und Medienvertreter mussten eine Sicherheitsschleuse passieren, um in den Saal zu gelangen.
In Chemnitz begleitete unterdessen ein Grossaufgebot der Polizei die Beerdigung eines überregional bekannten Hooligans und Rechtsextremen. Es handele sich um eine «Massnahme zur Gewährleistung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit», so eine Polizeisprecherin. Nach ihren Angaben reisten etwa 1000 Sympathisanten aus dem gesamten Bundesgebiet an. Auch aus dem europäischen Ausland kamen nach Angaben szenekundiger Beamter Hooligans. Rund 950 Polizisten aus mehreren Bundesländern sowie von der Bundespolizei waren im Einsatz.
Der Prozess in Dresden wurde kurz nach Beginn unterbrochen, weil die Verteidigung Zweifel an der Unbefangenheit des Gerichts äusserte. Noch vor Verlesen der Anklage legte Verteidigerin Ricarda Lang einen Fragenkatalog vor, in der sie unter anderem wissen wollte, ob die Richter Mitglieder oder Unterstützer der AfD oder der islamfeindlichen Pegida-Bewegung sind und wie sie zu Flüchtlingen insgesamt stehen. «Die Einstellung der Richter zur Flüchtlingsfrage ist entscheidend für ein faires Verfahren», sagte Lang.
Die Verteidigerin ging in einer Art Chronologie auf die Ereignisse in Chemnitz ein, die nach dem Tod des 35 Jahre alten Daniel H. am 26. August 2018 unter anderem in ausländerfeindlichen Ausschreitungen sowie Angriffen auf Flüchtlinge und ausländische Restaurants in der Stadt gipfelten. Der Beschuldigte, der 2015 als Flüchtling nach Deutschland kam, entspreche dem «erklärten Feindbild» jener Menschen, die die AfD unterstützten, sagte Lang.
Sie ging auch auf eine Äusserung der Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) ein. Diese habe die Hoffnung geäussert, dass der Beschuldigte verurteilt werde, ohne das Verfahren zu kennen. Es gebe den Verdacht, dass von politischer Seite Einfluss auf das Verfahren genommen werde.
Das Gericht setzte die Verhandlung bis zu einer Entscheidung über den Antrag fort. Danach wurde die knappe Anklage verlesen. Demnach habe der Syrer «ohne rechtfertigenden Grund» im Zuge eines Streits gemeinsam mit dem Iraker vier Mal in den Brustkorb und einmal in den Oberarm des Opfers gestochen. Dieses wurde laut Anklage in Herz und Lunge getroffen und starb unmittelbar danach. Das zweite Opfer wurde durch einen Stich in den Rücken schwer verletzt. Dieser Mann trat im Prozess als Zeuge und Nebenkläger auf.
Der Angeklagte, ein gelernter Friseur, hatte die Tat vom 26. August 2018 stets bestritten. «Unser Mandant ist unschuldig», erklärten auch die beiden Verteidiger des Syrers und beantragten eine Einstellung des Verfahrens sowie eine Aufhebung des Haftbefehls. Es mangele an handfesten Beweisen, argumentierten sie. Die Staatsanwaltschaft sprach von einem «hinreichenden Tatverdacht». Der Antrag sei daher abzulehnen.
Die bis Oktober angesetzte Verhandlung muss noch zahlreiche offene Fragen klären. So ist der Tathergang noch immer in weiten Teilen unklar. Warum kam es zum Streit zwischen Opfer und Tätern? Ging es, wie einige Medien jüngst berichteten, um Drogen? Laut Verteidigung waren zudem an der Tatwaffe keine DNA-Spuren des Angeklagten zu finden.
Der erste Zeuge, das Mitopfer, konnte den Angeklagten auf vorgelegten Lichtbildern nicht als Täter identifizieren. Bei seiner Aussage konnte der 38-Jährige lediglich einen weiss gekleideten Mann beschreiben, der auf den am Boden liegenden Daniel H. eingestochen habe. Auch ein zweiter Mann habe auf das Opfer eingeschlagen. «Ob mit oder ohne Messer habe ich nicht gesehen.» Zuvor seien «drei kleine Asylbewerber» auf seine Gruppe, die beim Stadtfest gefeiert habe, zugekommen und hätten zunächst nach Zigaretten gefragt. Später sei ein Streit ausgebrochen.
In einer früheren Aussage hatte der Zeuge andere Aussagen gemacht und kein Messer, sondern nur Stichbewegungen gesehen. Zu Prozessbeginn beschrieb er dagegen das Messer mit einer Klingenlänge von etwa 15 Zentimetern. Um den Tathergang aufzuklären, liess der Staatsanwalt die Situation im Saal nachspielen. Er selbst legte sich auf den Boden, während er den Zeugen anwies, die Situation nachzuspielen. Dieser hatte das Geschehen - selbst verletzt - aus einigen Metern Entfernung verfolgt. «Das Gericht wird die Aussage nach Ende der Beweisaufnahme bewerten», sagte die Chemnitzer Gerichtssprecherin Marika Lang dazu. Laut Verteidigung hatte der Zeuge zum Zeitpunkt der Tat unter Drogen- und Alkoholeinfluss gestanden.
Als Nebenkläger sind neben dem damals Schwerverletzten auch die Schwester und die Mutter des Opfers zugelassen. Das Gericht hat über 50 Zeugen geladen und will diese bis Ende Mai befragen. Bis zum 29. Oktober sind insgesamt 24 Verhandlungstage angesetzt.
Im Vorfeld war die Verteidigung des Angeklagten vor dem Bundesgerichtshof mit dem Antrag gescheitert, den Prozess ausserhalb von Sachsen, Thüringen und Brandenburg durchzuführen, weil sie einen unfairen Prozess fürchteten. Die Fortsetzung des Prozesses ist für nächsten Dienstag (26. März) geplant.