Schifffahrt und Schiffbau erwarten schwere Krisen
Der maritime Sektor gerät unter gewaltigen Druck. Es werden weltweit weniger Waren transportiert und die Kreuzschifffahrt ist komplett zusammengebrochen. Neue Schiffe werden auf Jahre hinaus kaum gebraucht.
Das Wichtigste in Kürze
- Werften und Schifffahrt in Deutschland und weltweit stehen vor einer harten Durststrecke, die viele Betriebe die Existenz kosten könnte.
Es sei für längere Zeit mit einer äusserst geringen Nachfrage nach Schiffen aller Art zu rechnen, teilte der Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) in Hamburg mit. Der Verband Deutscher Reeder (VDR) befürchtet, dass wesentliche Teile der deutschen Handelsflotte in ihrer Existenz gefährdet sind. Auf dem Spiel stehen in Deutschland mehrere zehntausend Arbeitsplätze.
Die deutschen Schiffbauer konnten sich nach der Finanzkrise vom weltweiten Abwärtstrend abkoppeln, indem sie sich erfolgreich auf Kreuzfahrtschiffe, Luxusjachten, Fähren und Spezialschiffe spezialisierten. Während die weltweite Produktion von Schiffen seit dem Spitzenjahr 2011 um 40 Prozent schrumpfte, gingen immer mehr Aufträge an deutsche und europäische Werften. Rund 95 Prozent aller Kreuzfahrtschiffe werden in Europa gebaut und die Branche erlebte einen jahrelangen Boom. Auch jetzt reicht das europäische Auftragsbuch rechnerisch für vier Jahre und damit deutlich länger als in den asiatischen Schiffbauländern China, Japan und Korea.
«Es ist aber zu erwarten, dass neue Bestellungen in diesem Segment für einige Jahre vollständig ausbleiben», sagte VSM-Hauptgeschäftsführer Reinhard Lüken. Vielen Betrieben werde daher die Arbeit ausgehen. Zwischen dem Bauvertrag und der Ablieferung liegen drei bis vier Jahre. Deshalb sei es eine Möglichkeit, die Bauzeit der vorhandenen Aufträge zu strecken.
«Die Corona-Pandemie trifft die Branche in einer Phase, in der ohnehin schon seit Jahren die Auftragseingänge geringer als die Produktion sind und die globalen Schiffbaukapazitäten nicht ausgelastet», sagte Lüken. Die asiatische Konkurrenz reagiere auf die angespannte Lage schon jetzt mit weiteren Preisnachlässen und hohen staatlichen Subventionen. Die Welthandelsorganisation WTO sei gegenwärtig schwer angeschlagen und nicht voll funktionsfähig.
Mit den Zulieferern in der komplexen Wertschöpfungskette stehe der deutsche Schiffbau für rund 200.000 Arbeitspätze, sagte Lüken. Um über das Auftragsloch hinwegzukommen, fordere der Verband, Aufträge für Schiffe der öffentlichen Hand vorzuziehen. Zudem sollte auf europäischer Ebene ein Erneuerungsprogramm für die Handelsflotte aufgelegt werden, um moderne Antriebstechnologien voranzubringen und die Klimaziele der Branche umzusetzen. So könne ein unkontrollierter Flurschaden in der Industrie verhindert werden.
Ähnlich dramatisch sehen die Reeder ihre Lage. Die Umsätze der Reedereien seien im März und April im Durchschnitt um 30 bis 40 Prozent zurückgegangen, teilte der VDR in Hamburg als Ergebnis einer Umfrage bei rund 50 Schifffahrtsunternehmen mit, darunter die 30 grössten deutschen Reedereien. Fast die Hälfte spüre schon jetzt eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer Liquidität und die Charterraten für Schiffe seien um bis zu 40 Prozent zurückgegangen. Fast 500 Schiffe weltweit seien ohne Beschäftigung und fahren deshalb nicht, so viele wie noch nie. Die meisten deutschen Reeder arbeiten ähnlich wie Autovermieter oder Leasing-Firmen und kümmern sich nur um die Schiffe, die sie an Linienreedereien verchartern.
«Wesentliche Teile der deutschen Handelsflotte sind in ihrer Existenz gefährdet», sagte VDR-Präsident Alfred Hartmann. Angesichts des absehbaren Einbruchs des Welthandels sei mit einer weiteren Verschärfung der Marktlage zu rechnen. Die deutsche Schifffahrt habe bereits nach der Finanzkrise 2008/09 rund 1500 Schiffe verloren, ein Drittel der Flotte. Sollten sich Produktion und Konsum nicht rasch erholen, könnten die Folgen der Pandemie noch weitaus härter werden. Würde ein weiteres Drittel der Flotte verlorengehen, wäre zehntausende Arbeitsplätze am Standort Deutschland gefährdet.
Reeder und Werften erwarten aber auch, dass der Markt nach einigen Jahren zurückkommt. «Es wird weiterhin einen globalen Güteraustausch geben und auch weiter Kreuzfahrttourismus», sagte Lüken. Der Welt-Schiffbau werde schrumpfen, das sei klar. «Wir wollen nur nicht überproprotional schrumpfen.» Sollte das gelingen, könnte der deutsche Schiffbau gestärkt aus der Krise hervorgehen. Dann werden vermutlich noch komplexere Schiffe benötigt, eine Stärke des deutschen Standortes.