Hunderttausende Frauen streiken in der Schweiz für mehr Gleichberechtigung
Mehrere Hunderttausend Frauen sind am Freitag in der Schweiz für mehr Gleichberechtigung auf die Strasse gegangen.
Das Wichtigste in Kürze
- In mehreren Städten legen Frauen die Arbeit nieder.
In Lila gekleidet und auf Töpfen und Pfannen trommelnd, forderten die teilnehmenden Frauen in mehreren Schweizer Städten flexiblere Teilzeitarbeitsmodelle, die Einführung eines Mindestlohns und Null-Toleranz für sexuelle Gewalt. Die Organisatoren sprachen vom «grössten politischen Demonstration» in der jüngeren Geschichte der Schweiz.
Hunderttausende Frauen hätten sich an dem Streik beteiligt, erklärte der Schweizerische Gewerkschaftsbund, der zu den Protestaktionen aufgerufen hatte. Damit rückt der 14. Juni 2019 in die Nähe des ersten Frauenstreiks der Schweiz im Jahr 1991, an dem rund 500.000 Schweizerinnen teilgenommen hatten.
Ziel des Aktionstages sei es, «das Land mit einem feministischen Streik lahmzulegen», sagte die Aktivistin Marie Metrailler der Nachrichtenagentur AFP. Zu den Aktionen zählten Kundgebungen mit Kinderwagen und Trillerpfeifenkonzerte, verlängerte Mittagspausen und öffentliche Picknicks. Als Erkennungsfarbe wurde Lila ausgerufen.
In mehreren Schweizer Städten machten die Frauen ihrem Ärger lautstark Luft. Tausende Frauen versammelten sich vor den Regierungs- und Parlamentsgebäuden in Bern. Das Parlament unterbrach seine Arbeit 15 Minuten lang. Die Schweizer Verteidigungsministerin Viola Amherd und eine Gruppe weiblicher Abgeordneter schloss sich den Demonstrantinnen kurz an. «Es ist wunderbar! Wir sind hier, um Lärm zu machen, denn wenn wir nicht gesehen werden, existieren wir nicht», sagte die sozialistische Abgeordnete Ada Marra dem Sender SRF in Bern.
In Lausanne hatten die Proteste bereits in der Nacht begonnen, als einige Frauen die lila angestrahlten Glocken der Kathedrale läuteten. Auch ein «Freudenfeuer» wurde entzündet, in dem einige Frauen ihre BHs verbrannten. Am Morgen versammelten sich rund 500 Menschen zu einer grossen Frühstücksfeier und blockierten den Verkehr auf einer der Hauptbrücken der Stadt.
In Zürich zogen Demonstrantinnen eine riesige rosafarbene Klitoris auf einem Karren durch die Stadt. In Basel wurde das feministische Symbol der geballten Faust auf den Wolkenkratzer des Pharmariesen Roche projiziert.
Vor genau 28 Jahren, am 14. Juni 1991, hatte der erste landesweite Frauen-Streik in der Schweiz stattgefunden. Eine halbe Million Frauen legte damals ihre Arbeit nieder und schloss sich den Protesten an. Zehn Jahre zuvor war die Gleichstellung der Geschlechter in der Schweizer Verfassung verankert worden.
Seitdem hat sich aus Sicht der Organisatoren der aktuellen Proteste wenig geändert. Sie fordern «mehr Zeit, mehr Geld, mehr Respekt». Das Einkommen von Frauen liegt in der Schweiz im Schnitt 20 Prozent niedriger als das Einkommen von Männern. Selbst bei gleicher Qualifikation besteht nach Angaben des nationalen Statistikamts noch ein Abstand von acht Prozent.
Die Organisatorinnen hatten die Schweizerinnen aufgefordert, Job und Hausarbeit eine Tag lang zu vernachlässigen, um das Bewusstsein für den wichtigen Beitrag, den Frauen für die Gesellschaft leisten, zu schärfen. Frauen, die nicht den ganzen Tag streiken können, sollten wenigstens um 15.24 Uhr ihre Arbeit niederlegen. «Danach arbeiten Frauen kostenlos», sagte Anne Fritz, Hauptorganisatorin des Streiks und Vertreterin des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds USS.
Die Anerkennung der Frauenrechte war ein langwieriger Prozess in der Schweiz. 1971 räumte sie als eines der letzten Länder in Europa Frauen das Wahlrecht ein. In den vergangenen drei Jahrzehnten konnten Frauenrechtlerinnen aber einige Fortschritte erzielen. 2002 wurden Abtreibungen legalisiert, 2005 wurden 14 Wochen bezahlter Mutterschaftsurlaub eingeführt. Doch es gibt weiterhin keinen Vaterschaftsurlaub, und der eingeschränkte Zugang zu den teuren Kindertagesstätten gilt als Haupthindernis für die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt.