Merkel und Johnson gesprächsbereit - aber hart beim Brexit
Boris Johnson will in Berlin und Paris Änderungen am Brexit-Abkommen erreichen - und holt sich bisher nur Absagen ab. Meint er es wirklich ernst mit Verhandlungen, oder geht es ihm nur um Schuldzuweisungen?
Das Wichtigste in Kürze
- Im Ringen um einen geregelten Austritt Grossbritanniens aus der EU signalisieren die Regierungen in Berlin und London Gesprächsbereitschaft, zeigen sich aber in der Sache vorerst hart.
Beim Antrittsbesuch des britischen Premierministers Boris Johnson bei Kanzlerin Angela Merkel beharrten beide Seiten inhaltlich auf ihren Positionen zum Brexit. Merkel verbreitete aber die Hoffnung, dass innerhalb von 30 Tagen auch im zentralen Streitpunkt Irland eine Lösung gefunden werden könnte. Johnson stimmte dem zu.
Der Premier, der an diesem Donnerstag auch nach Paris reisen will, hat sich verpflichtet, Grossbritannien am 31. Oktober aus der EU herauszuführen - mit oder ohne Abkommen. Umstritten ist vor allem, wie verhindert werden kann, dass zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland eine neue Grenze mit Kontrollen entsteht. Dafür sieht das Abkommen den sogenannten Backstop vor.
Johnson betonte in Berlin erneut: «Der Backstop weist grosse, grosse Mängel auf für ein souveränes, demokratisches Land wie das Vereinigte Königreich. Er muss einfach gestrichen werden.» Er verwies auf die Möglichkeit, alternativ «elektronische Vorkontrollen» vorzunehmen, die Grenzkontrollen überflüssig machen könnten. Auch Grossbritannien wolle einen «verhandelten Austritt» aus der EU und keinen ungeregelten Brexit. , fügte er auf Deutsch in Anspielung auf einen Satz Merkels in der Flüchtlingskrise hinzu.
Merkel unterstrich ebenfalls das Interesse an einem «verhandelten Austritt», betonte aber zugleich: «Wir sind auch vorbereitet, wenn es einen solchen verhandelten Austritt nicht gibt.»
Merkel wies darauf hin, dass der Backstop nur als Übergangsregel für die nicht endgültig gelöste Irland-Frage gedacht sei. Man sei bislang davon ausgegangen, eine endgültige Lösung in den nächsten zwei Jahren zu finden. «Aber man kann sie vielleicht ja auch in den nächsten 30 Tagen finden. Warum nicht? Dann sind wir ein ganzes Stück weiter», sagte sie. Merkel deutete weiter an, dass die Grenzkontrollen zwischen Nordirland und Irland überflüssig würden, und die Integrität des Binnenmarktes gewahrt werden könne, wenn klar sei, wie die künftige Beziehung zwischen Grossbritannien und der EU aussehen.
Doch das ist nur denkbar, wenn London sich für eine enge Partnerschaft mit Brüssel in der Zukunft entscheidet. Genau das will Johnson aber unbedingt verhindern. Deshalb besteht er darauf, dass der Backstop weg muss. Ihm schwebt ein Freihandelsabkommen mit der EU nach dem Vorbild Kanadas vor. Damit wären Grenzkontrollen an der irisch-irischen Grenze aus Brüsseler Sicht unvermeidbar.
Fraglich ist aber auch, ob Johnson tatsächlich ernsthafte Verhandlungen mit der EU führen will oder von vorneherein einen ungeregelten Brexit anstrebt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte jedenfalls kurz vor dem Antrittsbesuch Johnsons in Berlin gesagt: «Möglicherweise geht es eher um Schuldzuweisungen als um die Frage von wirklicher Veränderung der Datenleiste.» Das lasse sich aber erst nach den Gesprächen genau beurteilen.
Und die Europa-Expertin der Grünen im Bundestag, Franziska Brantner, kritisierte: «Boris Johnsons Besuch ist kein konstruktives Gesprächsangebot, sondern vielmehr eine Show für London.» Der Deutschen Presse-Agentur sagte sie weiter: «Der britische Premier sammelt Körbe der europäischen Staats- und Regierungschefs, um sich dann hinstellen zu können und zu sagen, die EU habe den harten Brexit provoziert, weil sie den Briten nicht entgegenkam.»
Merkel hatte - wenige Stunden vor der Ankunft Johnsons - bei einer Luftfahrtkonferenz in Leipzig/Halle nochmals unterstrichen, sie wolle mit dem britischen Premier darüber reden, wie ein «möglichst friktionsfreier» Austritt erreicht werden könne. Sie verwies in diesem Zusammenhang auf die Abkühlung der Wirtschaft, auch durch internationale Handelskonflikte und den Brexit: «Wir müssen um unser Wirtschaftswachstum kämpfen.»
Der britische Premier hatte in einem Brief an EU-Ratschef Donald Tusk offiziell die Streichung der von der EU verlangten Garantieklausel für eine offene Grenze in Irland gefordert. Anstelle dieses sogenannten Backstops stellte er andere «Verpflichtungen» Grossbritanniens in Aussicht. Was damit gemeint ist, liess er auch beim Treffen mit Merkel offen.
Merkel wies wie die EU-Kommission die Forderung Johnsons nach Nachverhandlungen bereits am Tag vor dessen Antrittsbesuch zurück. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron hatte sich mehrfach gegen einen langen Aufschub des Brexits ausgesprochen und will ebenfalls keine Veränderungen am Vertrag. Johnson führt die Ablehnung seiner Änderungswünsche auf die falsche Hoffnung zurück, das britische Parlament werde einen No-Deal-Brexit verhindern. Das machte er am Dienstagabend in einem BBC-Interview deutlich.
Die Britische Handelskammer in Deutschland warnte Johnson eindringlich vor einem ungeregelten Brexit. «Die Stimmung unter den Unternehmen ist äusserst schlecht, weil alle befürchten, dass Johnson einen harten Brexit durchzieht ohne Rücksicht auf Verluste», sagte Geschäftsführer Andreas Meyer-Schwickerath der dpa. Der Industrieverband BDI ist gegen Nachverhandlungen des Austrittsabkommens. BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang sagte der dpa, Brüssel und London müssten die Weichen richtig stellen, um den drohenden harten Brexit abzuwenden.