Solingen (D): 15-Jähriger sprach vor Tat mit dem Täter – Festnahme
Drei Tote, acht Verletzte: Nach dem Messerangriff beim Stadtfest Solingen ist der Täter weiter auf der Flucht. Die Polizei spricht von einem Anschlag.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Mann hat bei einem Anschlag in Solingen (D) drei Menschen getötet und acht verletzt.
- Der Täter ist nach der Tat auch am Samstagmorgen noch immer auf der Flucht.
- Laut Sicherheitsleuten habe der Mann mit einem «grossen Messer» die Menschen attackiert.
- In der Nacht nahm die Polizei einen 15-jährigen Jugendlichen fest.
Nach dem tödlichen Messerangriff von Solingen (D) schliesst die Staatsanwaltschaft einen terroristischen Hintergrund nicht aus. Die Polizei geht bisher von einem Einzeltäter aus. «Bislang ist ein Täter noch nicht ermittelt, also werden die Ermittlungen gegen Unbekannt geführt», sagte Oberstaatsanwalt Caspers bei einer Pressekonferenz am Samstagnachmittag.
Polizeiführer Fleiss zufolge liegt auch noch kein klar zugeordnetes Bildmaterial vom Täter vor. Es sei ein Hinweisportal geschaltet, es laufe «umfangreiches» Material ein. Die Auswertung laufe aber noch, «so dass wir im Moment noch kein gezieltes Bild vom Täter veröffentlichen können, weil wir es noch nicht gezielt zuordnen können». Wenn man ihn frage, ob Bildmaterial vom Täter vorliege, müsse er im Moment mit «Nein» antworten.
Motivlage ist noch nicht zu erkennen
«Eine Motivlage konnten wir bisher auch nicht erkennen», so Caspers. «Wir gehen aber nach den Gesamtumständen davon aus, dass der Anfangsverdacht einer terroristisch motivierten Tat nicht ausgeschlossen werden kann.»
Ein anderes Motiv sei derzeit nicht ersichtlich. Sollten sich die Hinweise auf eine terroristische Straftat verzichten, komme eine Übernahme des Falles durch den Generalbundesanwalt in Betracht.
Ermittelt wird wegen des Verdachts des Mordes in drei Fällen und des versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in weiteren acht Fällen, wie Caspers sagte.
Grossaufgebot fahndet nach dem Täter
Derzeit laufen Polizeiaktionen in ganz Nordrhein-Westfalen und im gesamten Bundesgebiet, wie Polizeiführer Thorsten Fleiss an einer Medienkonferenz am Samstagnachmittag sagte. Er sprach von umfangreichen Ermittlungsmassnahmen.
Meldungen, wonach die Tatwaffe bereits gefunden worden sei, bestätigte Fleiss nicht. Man habe mehrere Messer sichergestellt, «die wir jetzt einzeln untersuchen werden». So solle geklärt werden, welches der Tat zuzuordnen sei. Viele Details, etwa zu den Messern oder zum Ablauf der Tat, blieben aus ermittlungstaktischen Gründen unbeantwortet.
«Die Ermittlungen laufen», sagte auch eine Sprecherin der zuständigen Düsseldorfer Polizei am Samstagmorgen. Ein Grossaufgebot sei im Einsatz, um nach dem Täter zu fahnden.
Die Polizei mahnte die Bevölkerung in Solingen weiter zur Vorsicht. Nach Angaben eines Reporters der Deutschen Presse-Agentur waren am Morgen weiterhin auch Spezialeinheiten in der Stadt unterwegs.
Zur Identität des Täters machte die Polizei bisher keine Angaben. Zeugen sollen von einem arabisch aussehenden Mann berichtet haben, schreibt die «Bild».
Wie die Zeitung weiter berichtet, soll der mutmassliche Täter zwischen 20 und 30 Jahre alt sein. Zudem sei er zwischen 1,70 und 1,75 Meter gross und von sportlicher Statur, heisst es. Er habe ein südländisches Erscheinungsbild und trage einen dichten kurzen Vollbart, schwarze Kleidung und eine Mütze.
Philipp Müller, der Veranstalter des «Festivals der Vielfalt» in Solingen schildert gegenüber «Focus», wie er die Attacke miterlebt hat. Demnach hätten ihm die Sicherheitsleute gesagt, dass der Täter mit einem «grossen Messer» seine Opfer angegriffen habe.
Deutsche berichten von einer Festnahme – wohl kein Zusammenhang
Die «Bild» berichtet, dass ein Spezialeinsatzkommando am Morgen eine Person festgenommen habe. Laut Polizei soll es sich dabei um einen 15-jährigen Jugendlichen handeln.
Eine Zeugin soll den mutmasslichen Täter bei dem Messerangriff demnach erkannt haben, weil sie den einen jungen Mann bereits als Tatverdächtigen von einer anderen Straftat kannte. Sie habe die Polizei informiert.
Die Polizisten hätten den Mann in der Wohnung seiner Eltern überwältigt. Offenbar werde er gerade von der Polizei vernommen. Die Polizei hält ihn aber nicht für den Täter. Die Beschreibung des Täters durch Zeugen vor Ort soll nicht mit dem Festgenommenen übereinstimmen.
Nach Zeugenaussagen solle eine bisher nicht bekannte Person kurz vor der Tat mit dem Jugendlichen über Absichten gesprochen haben, die zur Tatausführung passen würden, sagte Caspers. Ob diese Person der Täter sei, wisse man nicht.
Bei der Messerattacke am Freitagabend waren nach Polizeiangaben drei Menschen getötet und acht verletzt worden. Vier davon sollen schwere Verletzungen erlitten haben.
Bei den Getöteten handelt es sich um zwei Männer im Alter von 67 und 56 Jahren und eine Frau von 56 Jahren.
Der Täter hatte wahllos auf seine Opfer eingestochen. Anschliessend entkam er im Tumult und in der anfänglichen Panik nach der Tat. Polizeiführer Thorsten Fleiss sagte, man gehe nach aktuellem Stand und nach Auswertung ersten Bildmaterials davon aus, dass es «ein sehr gezielter Angriff auf den Hals» der Opfer war. Zunächst hatte die Polizei dies dementiert.
Augenzeuge spricht über Schock-Momente
Ein Augenzeuge hat sich im «Solinger Tagblatt» zu dem Messer-Angriff geäussert. Er sei vor der Bühne gestanden, als es zur Tat gekommen sei. Er habe am Gesichtsausdruck einer Sängerin bemerkt, dass etwas nicht stimme.
«Und dann ist nur einen Meter neben mir ein Mensch umgefallen.» Zunächst habe er gedacht, dass die Person betrunken sei. Dann habe er aber bemerkt, dass weitere Menschen auf dem Boden lagen. Dabei seien ihm dann auch die Blutlachen aufgefallen.
Bei den Toten soll es sich um eine Frau und zwei Männer aus Solingen und Düsseldorf handeln, berichtet die «Bild».
Deutscher Star-DJ spielte weiter, «um Massenpanik zu verhindern»
Am Freitagabend trat an dem Stadtfest auch der deutsche DJ Topic auf. Während der auf der Bühne stand, kam es zum Messerangriff bei einer anderen Bühne. « Wird wissen nicht, was los ist, war wohl eine Messerstecherei. Bitte mach weiter, wir wollen keine Massenpanik», habe man ihm gesagt.
Das schreibt der DJ in einem schriftlichen Statement auf Instagram. Erst rund 15 Minuten später sei die Musik abgestellt worden.
Polizei stuft Angriff auf Stadtfest Solingen als Anschlag ein
Die Tat wurde von der Polizei noch am Abend nicht mehr als Amoklauf, sondern als gezielter Anschlag eingestuft. Dies, weil der Attentäter sehr gezielt vorgegangen sei.
Die Attacke geschah auf der 650-Jahr-Feier von Solingen. Das Stadtfest Solingen stand unter dem Motto «Festival der Vielfalt». Der Täter griff seine Opfer vor der Musikbühne an.
Anschliessend sei es ihm gelungen, im Tumult und in der Panik zu entkommen, sagte ein Sprecher des NRW-Innenministeriums.
Reporterin: «Die Stimmung ist gespenstisch»
Die Polizei löste Grossalarm aus. Mindestens ein Hubschrauber war in der Luft, zahlreiche Einsatzfahrzeuge mit Blaulicht unterwegs, Strassen weiträumig abgesperrt.
Beamte standen noch spät am Abend mit Waffen am Einsatzort und sicherten diesen. Zahlreiche Rettungswagen waren im Einsatz. In der ganzen Stadt waren Absperrungen aufgebaut. Das Stadtfest Solingen wurde nach der Tat abgebrochen.
«Die Menschen sind geschockt, aber friedlich vom Platz gegangen», sagte Mitorganisator Philipp Müller dem «Solinger Tageblatt».
Eine Reporterin der Zeitung schilderte: «Die Stimmung ist gespenstisch». Binnen weniger Minuten sei die ausgelassene Feierstimmung in Schock umgeschlagen. Ihr seien tränenüberströmte Besucherinnen und Besucher entgegengekommen.
Tat sorgt in ganz Deutschland für Betroffenheit
Deutschlandweit löste die Tat von Solingen grosse Betroffenheit aus. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach von einem «furchtbaren Verbrechen». «Wir dürfen so etwas in unserer Gesellschaft nicht akzeptieren und uns niemals damit abfinden. Mit der ganzen Härte des Gesetzes muss hier vorgegangen werden», sagte der SPD-Politiker bei einem Termin im brandenburgischen Stahnsdorf.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erklärte nach einem Telefonat mit Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD): «Der Täter muss zur Rechenschaft gezogen werden. Stehen wir zusammen – gegen Hass und Gewalt.»
Innenministerin Faeser kündigte erst kürzlich Verschärfung des Waffenrechts an
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte angesichts der Zunahme von Messerangriffen erst kürzlich eine Verschärfung des Waffenrechts angekündigt. In der Öffentlichkeit sollen Messer demnach nur noch bis zu einer Klingenlänge von sechs Zentimetern statt bisher zwölf Zentimetern mitgeführt werden dürfen. Für gefährliche Springmesser soll es ein generelles Umgangsverbot geben.