Sonderprüfung bei Wirecard lässt Fragen unbeantwortet
Der Dax-Konzern Wirecard ist seit Jahren mit dem Vorwurf fragwürdiger Geschäfte konfrontiert. Eine unabhängige Sonderprüfung der Bilanzen sollte zum Befreiungsschlag werden. Stattdessen reagieren die Investoren geschockt.
Das Wichtigste in Kürze
- Beim Dax-Konzern Wirecard bleiben nach dem Abschluss einer Sonderprüfung zu gravierenden Bilanzfälschungsvorwürfen zentrale Fragen unbeantwortet.
Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG meldete in ihrem am Dienstag veröffentlichten Bericht zu den Geschäftsjahren 2016 bis 2018, dass wesentliche Unterlagen fehlten - hauptsächlich zum Geschäft mit Drittfirmen, die Zahlungen im Auftrag von Wirecard abwickeln. Deswegen konnten die KPMG-Prüfer auch nicht feststellen, ob den entsprechenden Buchungen auch reale Umsätze entsprechen. «Insofern liegt ein Untersuchungshemmnis vor», heisst es in dem Papier. Explizit genannt werden in dem Bericht Zahlungen auf Treuhänderkonten in Höhe von einer Milliarde Euro, bei denen unklar blieb, ob sie tatsächlich von Wirecard-Geschäftspartnern stammten.
Die Investoren an der Frankfurter Börse reagierten geschockt. Die Aktie rutschte zeitweise um bis zu 28,5 Prozent auf 94,46 Euro, konnte sich zuletzt aber wieder etwas erholen. Wirecard-Chef Markus Braun sieht sein rasant wachsendes Unternehmen aber entlastet: «In allen Punkten haben sich die Vorwürfe nicht bestätigt», sagte der Manager. «Es gibt keinerlei Korrekturbedarf unserer Bilanzen.» In einer Telefonkonferenz beharrte er: KPMG habe «ganz klar keinen Beleg» für aufgebrachte Vorwürfe gefunden.
Das im Münchner Vorort Aschheim ansässige Unternehmen verdient sein Geld hauptsächlich mit der Abwicklung elektronischer und digitaler Zahlungen an Ladenkassen und im Internet. Anlass der Sonderprüfung war eine Serie von Berichten der Londoner «Financial Times» gewesen, die Wirecard im vergangenen Jahr in Bedrängnis gebracht hatten: Demnach soll Wirecard mit Hilfe illegaler Scheinbuchungen die Umsätze künstlich in die Höhe getrieben haben, vor allem beim Geschäft mit Drittfirmen in Dubai, auf den Philippinen und in Singapur. Die «FT» warf Wirecard vor, dass diese Subunternehmer die Hälfte der Umsätze und den Grossteil der Gewinne beisteuerten.
Die KPMG-Prüfer beklagen, dass die Wirecard AG «im Verlauf der Untersuchung angeforderte Dokumente «teilweise nicht bzw. erst mehrere Monate nach Anforderung» lieferte. Und ein dritter Kritikpunkt ist, dass die Verträge mit Kunden und Partnern für die Prüfer nicht einseh- beziehungsweise nicht nachvollziehbar waren. KPMG bezweifelt, dass die Reichweite der Risiken des Drittpartner-Geschäfts für Investoren «ausreichend erkennbar» war.
Vorstandschef Braun sagte dazu, es habe sich um eine «forensische Untersuchung» gehandelt, bei der die Anforderungen wesentlich höher seien als bei der regulären Bilanzprüfung. «Forensisch» bedeutet bei Wirtschaftsprüfern, dass gezielt nach Betrugsindizien gesucht wird. Anders als bei regulären Bilanzprüfungen, für die die internen Dokumente des geprüften Unternehmens genügen, nehmen die Prüfer dabei auch Einblick in externe Unterlagen, um die Plausibilität der Buchungen zu prüfen.
Die Drittfirmen stellten laut KPMG die angeforderten Unterlagen nicht zur Verfügung - anders als eine Staatsanwaltschaft haben Wirtschaftsprüfer kein Recht auf Akteneinsicht. Das Drittfirmen-Geschäft lief über zwei Tochtergesellschaften, Wirecard UK & Ireland sowie die Cardsystems Middle East, verwaltet wurden die Zahlungseingänge von einem ungenannten Treuhänder, der seit dem vergangenen Oktober nicht mehr für Wirecard tätig ist. Laut KPMG gab es auf den Treuhandkonten Einzahlungen von einer Milliarde Euro, bei denen unklar ist, ob sie tatsächlich von den Wirecard-Partnerfirmen stammten. Der Ex-Treuhänder reagierte demnach auch nicht auf Anfragen.
KPMG bemängelt in dem Bericht darüber hinaus mangelnde Vorsichtsmassnahmen bei Wirecard, um möglichen Manipulationen vorzubeugen: «Vor diesem Hintergrund sind die eingerichteten internen Kontrollen aus Sicht von KPMG nicht vollumfänglich ausreichend, um die Höhe und Existenz der Umsatzerlöse im Untersuchungszeitraum vollumfänglich sicherzustellen.» Vorstandschef Braun sagte dazu, diese Mängel seien bekannt und würden abgestellt: «Wir sind massiv dabei, die Strukturen anzupassen.»
Die Veröffentlichung der Bilanz für 2019 wird sich nun bis in den Mai verzögern. Diesen Termin hatte Wirecard bereits einmal verschoben. Auch bei der Veröffentlichung des KPMG-Berichts hielt das Unternehmen die selbst gesetzten Termine nicht ein. Die Prüfer machten für die Verzögerung Wirecard verantwortlich.