Politik hofft auf Schub durch neue Astrazeneca-Empfehlung

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Deutschland,

Überraschende Änderung im Impfplan: Nach der jüngsten Empfehlung für Kreuzimpfungen setzt der Gesundheitsminister auf Astrazeneca für Ungeimpfte. Die Ärzte fürchten einen neuen Ansturm auf die Praxen.

Jens Spahn äussert sich auf einer Pressekonferenz zu den Konsequenzen der Stiko-Empfehlung. Foto: Fabian Sommer/dpa
Jens Spahn äussert sich auf einer Pressekonferenz zu den Konsequenzen der Stiko-Empfehlung. Foto: Fabian Sommer/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Bund und Länder erhoffen sich durch die neue Empfehlung kombinierter Corona-Impfungen weiteren Schub für die Impfkampagne.

Zahlreich verfügbarer Astrazeneca-Impfstoff ermögliche viele Erstimpfungen, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) heute in Berlin. Mit einer Zweitimpfung mit den Präparaten von Biontech/Pfizer oder Moderna ergebe sich sehr guter Impfschutz, so Spahn nach Beratungen mit seinen Länder-Kolleginnen und -Kollegen.

Die Ständige Impfkommission (Stiko) hatte am Vortag überraschend mitgeteilt, dass Menschen mit erster Dosis von Astrazeneca unabhängig vom Alter als zweite Spritze einen mRNA-Impfstoff erhalten sollen. Hintergrund ist auch die schnelle Ausbreitung der ansteckenderen Delta-Virusvariante. Spahn sagte, die Kombination sei «eine der bestverfügbaren Impfkombinationen», die es gebe.

Umsetzung der neuen Impfempfehlungen:

Allen mit einer ersten Spritze von Astrazeneca solle «so bald wie möglich» eine Zweitimpfung mit einem mRNA-Impfstoff angeboten werden, sagte der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Bayerns Amtschef Klaus Holetschek (CSU). Laut Spahn kann das teils sofort passieren - nämlich dort, wo mRNA-Impfstoff auf Lager sei. «Auch bei künftigen Erstimpfungen mit Astrazeneca wollen wir den Impflingen eine Zweitimpfung mit mRNA-Impfstoff anbieten», betonte Holetschek.

«Es wird sehr zügig gehen können, die Empfehlung umzusetzen, weil ausreichend mRNA-Impfstoff da ist», versicherte Spahn. Im Beschluss der Minister von Bund und Ländern heisst es: «Jede volljährige impfwillige Person, die sich im Juli und August 2021 mit dem Impfstoff von Astrazenca erstmalig impfen lässt, wird zur Vervollständigung der Impfserie in einem Abstand von mindestens vier Wochen eine Zweitimpfung mit einem mRNA-Impfstoff angeboten.»

Tatsächlich umfasst die Stiko-Empfehlung einen Abstand der zweiten zur ersten Impfung von nur vier Wochen. Bei Astrazeneca war zunächst ein Impfabstand von bis zu zwölf Wochen empfohlen worden. Auch bei den Impfintervallen der mRNA-Impfstoffe heisst die Stiko nun kürzere Abstände als bisher gut.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) fürchtet einen neuen Run auf die Praxen, wie KBV-Chef Andreas Gassen sagte. «In den nächsten Wochen stehen in den Praxen über drei Millionen Astrazenca-Zweitimpfungen an.» Alle Betroffenen schnell mit mRNA-Impfstoffen zu versorgen, könnten «nicht die Praxen ausbaden», mahnte KBV-Vizechef Stephan Hofmeister.

Wahl des Impfstoffs:

Spahn betonte, jeder der angebotenen Impfstoffe und jede der Impfstoff-Kombinationen seien wirksam, sicher und gut. Das treffe auch auf zweimalige Impfungen mit dem Präparat von Biontech/Pfizer oder Moderna zu - und auch auf zwei Spritzen von Astrazeneca. «Diese Impfungen waren richtig, sie waren wichtig und sie geben Schutz für den Geimpften und das Umfeld.» Nun habe sich aber erwiesen, dass die Kombination besonders gut schütze.

Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sagte der «Rheinischen Post»: «Damit wird der Astrazeneca-Impfstoff aufgewertet und kann für die Erstimpfungen der Älteren als wichtiges Instrument der Pandemiebekämpfung eingesetzt werden.»

Spahn wertete die neue Empfehlung als «Chance». Denn allein aktuelle Astrazeneca-Lieferungen an die Länder umfassten 2,4 Millionen Dosen. Insgesamt würden 5 Millionen Dosen davon in den kommenden Tagen erwartet. «Jetzt ist gerade eine gute Zeit, weil viel verfügbar ist mit einer sehr, sehr guten Kombination», sagte Spahn. «Wir erwarten noch über 30 Millionen Impfdosen von Astrazeneca in diesem Jahr.»

Bisher hatte die Stiko solche Kreuzimpfungen bereits jüngeren Menschen mit Astrazeneca-Erstimpfung geraten. Seit Ende März gilt, dass der Astrazeneca-Impfstoff in der Regel nur noch an Menschen ab 60 gespritzt wird, und jüngere ihn nur nach ärztlichem Ermessen und bei individueller Risikoanalyse bekommen. Hintergrund sind sehr seltene, schwere Nebenwirkungen bei Jüngeren.

Auch der Corona-Impfstoff von Johnson & Johnson regt nach Angaben des Unternehmens eine «starke und anhaltende» Immunantwort gegen die Delta-Variante an. Hier ist nur eine Spritze nötig.

Rüffel für die Stiko:

Ein längerfristiges Kalkül steckt nach den Worten von Spahn nicht hinter der Reaktion auf die neue Stiko-Empfehlung. Im Gegenteil. Er und die Gesundheitsminister der Länder seien von der Stiko-Entscheidung vom Vortag überrascht worden, sagte Spahn. Spahn gab einen leichten Rüffel der Politik an die Stiko weiter. «So eine Empfehlung kann natürlich leicht viele, die sich impfen lassen wollen, im erste Moment verunsichern.» Beim Chef der Impfkommission, Thomas Mertens, der bei den Ministerberatungen zugeschaltet gewesen sei, hätten die Politiker deshalb dafür geworben, «dass wir miteinander noch etwas besser die Kommunikation zwischen Wissenschaft und Politik machen». Allein in der kommenden Woche seien 500.000 bis 700.000 Menschen betroffen, bei denen eigentlich eine Zweitimpfung mit Astrazeneca anstehe.

Auffrischimpfungen:

Soll man sich um eine dritte Spritze von Biontech/Pfizer oder Moderna bemühen, wenn man bereits zwei Mal Astrazeneca bekommen hat? Laut Spahn ist es für eine Antwort darauf etwas zu früh. Politik und Gesundheitsbehörden prüften ständig die Daten darüber, für welche Gruppen welche Auffrischimpfungen ratsam seien. Vor allem an Menschen mit geschwächtem Immunsystem und Pflegebedürftige sei zu denken.

Eine Stiko-Empfehlung sei in Arbeit, mehr Klarheit werde es im Juli oder August geben, so Spahn. «Wir werden ausreichend Impfstoff haben, um für alle Empfehlungen gewappnet zu sein», versicherte Spahn. Es werde im Herbst und Winter sogar allen eine Auffrischimpfung angeboten werden können, die dies wünschten. «Auch das werden wir möglich machen können.»

Impfschutz und Lockdown:

Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) machte Geimpften Hoffnung, dass es für sie auch bei einer neuen Corona-Welle keinen neuen Lockdown geben dürfte. «Solange unsere Impfung sehr gut wirkt, kommt ja ein Lockdown zulasten derer, die vollständig geimpft sind, auch nicht infrage», sagte er dem MDR. Bei der künftigen Bewertung der Corona-Lage sei die Frage wichtig, wie gut die Impfung gegenüber neuen Varianten wie Delta ist. Stärker als bisher erfasst werden soll auch, wie viele Corona-Infizierte in den Kliniken behandelt werden müssen. Spahn sagte, eine Verordnung für eine bessere Datenlage sei in Abstimmung.

Stand der Impfungen:

37,9 Prozent der Menschen in Deutschland sind vollständig geimpft - und somit auch gegen Delta geschützt. 55,6 Prozent haben mindestens eine Impfdosis erhalten.

In Deutschlands Arztpraxen kehrt erstmals etwas Entspannung ein. Sie dürften in der kommender Woche zum ersten Mal die bestellte Menge Corona-Impfstoff geliefert bekommen, nämlich 2,3 Millionen Dosen. Sie hätten noch mehr bestellen können, wie Gassen einräumte. Ein erheblicher Teil der Impfungen durch Betriebsärzte ist einem Bericht von «Stuttgarter Zeitung» und «Stuttgarter Nachrichten» zufolge bisher nicht in die Statistik eingegangen. Der Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW) bestätigte einen erheblichen Melderückstand.

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