Verteidigung von Ex-Chef Braun will Aussetzung des Wirecard-Prozesses
Im Prozess um den Wirecard-Skandal hat die Verteidigung des früheren Konzernchefs Markus Braun die Aussetzung des Verfahrens beantragt.
Das Wichtigste in Kürze
- «Beispiellose Vorverurteilung» des früheren Konzernchefs beklagt.
Brauns Verteidiger Alfred Dierlamm sagte am Montag vor dem Landgericht München I, das ganze Verfahren leide an einem «schweren Geburtsfehler», da die Anklage mit falschen Annahmen arbeite. Dierlamm warf der Staatsanwaltschaft unzureichende Ermittlungen vor und warf einem als Kronzeuge geltenden mitangeklagten Ex-Wirecard-Manager gezielte Vertuschung vor.
Der Verteidiger des früheren Wirecard-Chefs forderte vom Gericht, das Verfahren an die Staatsanwaltschaft zurückzugeben, damit diese ihre Ermittlungen fortsetzen und dabei mit der gebotenen Gründlichkeit vorgehen könne. Seit Erhebung der Anklage im März habe die Staatsanwaltschaft noch erhebliche weitere Ermittlungen angestossen und dazu auch eine Reihe an Rechtshilfeersuchen gestellt, um ihre eigenen Fehler aus den ursprünglichen Ermittlungen noch zu heilen, sagte Dierlamm. Dies sei nach der Strafprozessordnung aber nicht zulässig.
Der Vorsitzende Richter sagte, es werde frühestens am Donnerstag, womöglich auch erst nächste Woche, über den Antrag entschieden.
Wie Dierlamm sagte, wird sich Braun anders als ursprünglich angekündigt vorerst nicht zu den Vorwürfen der Anklage äussern – auch nicht für den Fall, dass eine Aussetzung des Verfahrens abgelehnt wird. Der Verteidiger begründete dies damit, dass die Staatsanwaltschaft den Sachverhalt des Skandals nur unvollständig aufgeklärt habe und wichtige Akten zu dem Ermittlungskomplex erst sehr kurzfristig – teilweise nur wenige Tage – vor der Hauptverhandlung an die Verteidigung gegeben worden seien. Dies mache eine fundierte Verteidigung unmöglich.
Der Wirecard-Skandal ist einer der grössten Skandale der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Die Staatsanwaltschaft wirft dem aus Wien stammenden 53-jährigen Braun gewerbsmässigen Bandenbetrug, Untreue, Marktmanipulation und unrichtige Darstellung vor. Er soll zusammen mit anderen Wirecard-Managern über Jahre Scheingeschäfte in Milliardenhöhe verbucht und so hohe Kredite erschwindelt haben. Das Unternehmen schaffte es mit seiner angeblich erfolgreichen Geschäftsidee bis in den Deutschen Aktienindex, obwohl die Geschäfte tatsächlich nur Verluste produzierten.
Die Verteidigung von Braun gibt für die Scheingeschäfte dem flüchtigen früheren Wirecard-Vorstand Jan Marsalek und dem mitangeklagten Oliver B. die Verantwortung. Verteidiger Dierlamm sagte, keiner der 450 vernommenen Zeugen habe einen Hinweis geben können, dass Braun Kenntnis von den Manipulationen gehabt haben soll.
Hingegen sei der mitangeklagte B. zu keiner Zeit ein Kronzeuge gewesen. «Er ist Haupttäter einer Bande, deren alleiniges Ziel es war, hohe Gelder zu veruntreuen.» So habe B. im grossen Stil Transaktionen gelöscht, damit diese nicht mehr nachvollzogen werden können. Alle Manipulationen durch B. hätten ausschliesslich der Veruntreuung und der Verschleierung gedient – er habe hohe Millionenbeträge auf Konten umgeleitet.
Der Verteidiger von B. wies die Vorwürfe Dierlamms scharf zurück. Der Anwalt Brauns werfe «Nebelkerzen», um die Glaubwürdigkeit von B. anzuzweifeln, sagte Verteidiger Florian Eder. Tatsächlich habe B. grosse Schuld auf sich geladen. Er sei aber freiwillig beim Auffliegen des Wirecard-Skandals Mitte 2020 aus dem Ausland nach München gereist und habe umfassend ausgepackt.
Die Glaubwürdigkeit von B. ist eine zentrale Frage in dem Prozess. Auch die Verteidigerin des dritten Angeklagten, Stephan von E., zweifelte diese an. Verteidigerin Sabine Stetter sagte, B. sei ein «zweifelhafter Kronzeuge». So habe er unmittelbar vor seiner Aussage bei der Staatsanwaltschaft sein Konto beim Messengerdienst Telegram gelöscht und auch sämtliche E-Mail-Korrespondenz gelöscht. Er habe nur selektiv ausgewählte Dokumente erhalten. Ihr Mandant sei nicht wie angeklagt Teil einer Bande bei Wirecard gewesen, sagte Stetter.