Was steckt hinter dem Nervengift, mit dem Nawalny vergiftet wurde?
Kreml-Kritiker Alexej Nawalny wurde vergiftet. Doch wie wirkt das Nervengift, das den Mann in ein zweiwöchiges Koma versetzte?
Das Wichtigste in Kürze
- Kreml-Kritiker Alexey Nawalny wurde vergiftet.
- Dies geschah mit grosser Wahrscheinlichkeit durch das Nervengift Nowitschok.
- Das Gift greift das Nervensystem an.
Der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny ist nach Angaben der deutschen Bundesregierung «zweifelsfrei» mit einem chemischen Nervenkampfstoff der Nowitschok-Gruppe vergiftet worden. Bundeskanzlerin Merkel betitelt den Vorfall als «versuchten Giftmord», ein Sprecher von Putin weist die Schuld ab.
«Es gibt keinen Grund, den russischen Staat zu beschuldigen.» Es seien bisher weder Gespräche mit Bundeskanzlerin Merkel geplant, noch eine Stellungnahme der russischen Regierung.
Das Nervengift konnte durch ein Speziallabor der Bundeswehr nachgewiesen werden, es lasse sich in den Proben nachweisen. Interessant: «Nur der Staat kann Nowitschok einsetzen», schrieb Iwan Schadnow, Direktor der Anti-Korruptionsstiftung FBK, am Mittwoch auf Twitter.
Denn Nowitschok ist ein besonders wirkungsvolles Gift, das von sowjetischen Wissenschaftlern in den Siebzigern, auf dem Höhepunkt des kalten Kriegs, entwickelt wurde. Ganz in der üblichen Manier des Geheimdienstsarkasmus wurde das Gift also «Neuling» getauft.
Das passiert bei einer Vergiftung mit Nowitschok
Nervengifte sind sogenannte Kampfstoffe, welche das Nervensystem angreifen. Zuerst lösen sie Verkrampfungen, dann Lähmungen und schliesslich den Tod aus. Man stirbt bei einer solchen Vergiftung meist durch Ersticken oder Herzversagen.
Dem Tod durch Nowitschok geht eine chemische Reaktion im Körper voraus. Denn die Nervengifte blockieren die Produktion des körpereigenen Enzyms Cholinesterase. Dieses Enzym ist dafür verantwortlich, im Stoffwechsel den Neurotransmitter Acetylcholin abzubauen.
Wenn dieser Botenstoff nicht mehr abgebaut wird, spielt das Nervensystem aufgrund von Reizüberlastung völlig verrückt. Muskeln, Organe und Gewebe werden förmlich mit Nerveninformationen überschüttet. Es kommt zu verstärktem Speichelfluss, Atemproblemen, Erbrechen.
Wie behandelt man einen solchen Fall?
Sobald ein solcher Fall ins Spital kommt, muss sichergestellt werden, dass der Patient nicht durch Muskelverkrampfungen erstickt. Deshalb werden Patienten – so auch Nawalny – sofort künstlich beatmet.
Die eigentliche Vergiftung kann relativ einfach mit Gegengiften behandelt werden, sofern die Vergiftung schnell genug entdeckt wurde. Dies meint der Toxikologe und Leiter des Instituts für Toxikologie des Helmholtz Zentrums in München, Martin Göttlicher in einem Interview mit «T-Online».
Die Sorge, so Göttlicher, bestehe eher in den Langzeitschäden wie Muskelschwäche oder einer Gedächtnisstörung. Da sich Nawalny noch im Koma befindet, könne man noch nicht sagen, wie die Vergiftung ausgehen wird. Göttlicher spricht aber von einem halben bis ganzen Jahr bis zur vollständigen Erholung.
Deutscher Biochemiker: «Es gibt bessere Gifte für einen Mord»
Nicht nur Nawalny wurde Opfer eines Anschlags mit Nowitschok, auch der ehemalige Agent des russischen Militärnachrichtendienstes GRU Sergej Skripal und seine Tochter Julja starben beinahe an dem Gift. Im März 2018 wurden sie im englischen Salsbury gefunden.
Doch so zynisch wie es auch klingen mag: Der deutsche Biochemiker Marc-Michael Blum sagt gegenüber dem Magazin «Meduza» an, dass Nowitschok nicht die beste Lösung für das Vorhaben war. «Es gibt Gifte, die da viel effizienter wären».
Denn das Problem mit Giften, die über die Haut aufgenommen werden, ist, dass sich Personen unvorhergesehen die Hände waschen oder abwischen könnten. «Wenn man jemand wirklich umbringen wollte, hätte man einen Unfall vortäuschen können oder ihn einfach erschiessen. Hier sollte zusätzlich wohl eine Botschaft gesendet werden.»