Wladimir Putin und Hitler, gibt es Parallelen?
Putin ist kein neuer Hitler. Dennoch erkennt Holocaust-Forscher Götz Aly bestimmte Muster wieder. Er erklärt, warum Wladimir Putin über Neonazis spricht.
Das Wichtigste in Kürze
- Wladimir Putin wurde des Öfteren in Vergangenheit mit Adolf Hitler verglichen.
- Doch welche Parallelen gibt es tatsächlich zwischen beiden Diktatoren?
- Holocaust-Forscher Götz Aly klärt auf.
Nazi-Vergleiche gehen immer nach hinten los. Das ist eine Grundregel des politischen Betriebs. Und doch wird immer wieder dagegen verstossen.
2014 liess sich sogar einer der erfahrensten deutschen Politiker, der damalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, zu einem solchen Vergleich hinreissen. Mit Blick auf die von Russlands Präsident Wladimir Putin verfügte Annexion der ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim sagte der CDU-Politiker: «Mit solchen Methoden hat schon der Hitler das Sudetenland übernommen - und vieles andere mehr.»
Wladimir Putin nutze Fussball-WM wie Hitler die Olympischen Spiele
Ähnliche Äusserungen kamen damals unter anderem von der ehemaligen US-Aussenministerin Hillary Clinton und vom britischen Thronfolger Prinz Charles. Boris Johnson erregte Aufregung mit der Bemerkung, Putin werde die Fussball-WM in Russland wie Adolf Hitler die Olympischen Spiele nutzen.
Gleichsetzung sei absolut unzulässig
Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine sind solche Vergleiche nun immer häufiger zu hören. Putin sei ja fast wie Hitler, heisst es dann. Ist da etwas dran? Historiker: Gleichsetzung ist absolut unzulässig.
Unter Historikern herrscht Einigkeit darüber, dass eine Gleichsetzung von Putin und Hitler absolut unzulässig ist. Hitler war der Hauptverantwortliche für das in seiner radikalen Verdichtung und zielstrebigen Organisation beispiellose Menschheitsverbrechen der Shoah.
Sechs Millionen europäische Juden wurden binnen drei Jahren ermordet. Zudem hat Hitler den Zweiten Weltkrieg mit mindestens 60 Millionen Toten vom Zaun gebrochen. Das sind völlig andere Dimensionen als alle Verbrechen, die Putin zur Last gelegt werden mögen.
Aber: «Vergleichen heisst nicht gleichsetzen». Das stellt Historiker Heinrich August Winkler in dem Beitrag «Was Putin mit Hitler verbindet» klar. Vergleichen bedeutet in der historischen Forschung immer auch, Unterschiede herauszuarbeiten.
Götz Aly ist einer der anerkanntesten Holocaust-Forscher und Autor wegweisender Werke wie «Warum die Deutschen? Warum die Juden?». Auch er betont im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur: «Man kann Hitler und Putin nur sehr partiell miteinander vergleichen.»
Dazu gehören für ihn die Vorbereitung und Rechtfertigung des Krieges. «Auch Hitler hat ja enorme Truppen aufmarschieren lassen, während gleichzeitig versichert wurde: "Der Führer will nichts anderes als den Frieden".»
Den Überfall auf Polen begründete Hitler mit dem Schutz der Auslandsdeutschen. Diese müssten vor - frei erfundenem - «polnischem Terror» geschützt werden. Wladimir Putin stützt seinen Aggressionskrieg auf die Lüge, er müsse einem Genozid an Russen im ostukrainischen Donbass Einhalt gebieten. Ebenso beschönigen die russischen Staatsmedien den Krieg in der Ukraine jetzt durchgängig als «militärische Spezialoperation».
Das Wort «Krieg» durfte auch im Nazi-Deutschland nicht fallen
Auch Propagandaminister Joseph Goebbels erteilte am 1. September 1939 die Anweisung, nicht das Wort «Krieg» zu verwenden. Es durfte immer nur von einem «Gegenschlag» auf einen polnischen Angriff gesprochen werden.
Auch der Historiker Winkler sieht «frappierende Parallelen» zwischen dem «Anschluss» Österreichs und der «Zerschlagung der Rest-Tschechei» einerseits. Zudem der Annexion der Krim, der Abtrennung erheblicher Gebiete des Donbass und dem jetzigen Angriffskrieg auf die Ukraine andererseits. «Die Analogie des Vorgehens ist schlagend», schreibt Winkler in der «Zeit».
Wladimir Putin in der Rolle als gelehriger Schüler von Hitler
«Doch die Parallelen gehen noch sehr viel weiter. Auch als «Historiker», sprich als Geschichtspolitiker, wirkt Putin wie ein gelehriger Schüler Adolf Hitlers.» So versuche auch Putin, die von ihm angestrebte Wiederherstellung eines vermeintlichen früheren Grossreichs historisch zu untermauern.
Winkler verweist auf Putins 2021 veröffentlichten Aufsatz «Über die historische Einheit der Russen und der Ukrainer». Ebenso wie Putin eine russische Einflusszone reklamiere, hätten sich auch Hitler auf ein «Interventionsverbot für raumfremde Mächte» berufen. Putin spiele untergründig auf Nazi-Kollaboration an
Wladimir Wladimirowitsch Putin spricht auch von «Neonazis»
Winkler fühlt sich auch durch Putins Tiraden gegen die angeblichen «Neonazis» und «Drogensüchtigen» in Kiew an Hitler erinnert. Aly sieht es ähnlich - mahnt aber gleichzeitig zur Vorsicht: «Natürlich ist es völlig unsinnig, wenn Wladimir Putin behauptet, in Kiew seien Neonazis an der Regierung.»
Aber: «Wie in Russland gibt es auch in der Ukraine sehr harte Rechtsradikale. Man sollte dieses Problem gerade in Deutschland nicht ignorieren. Der grösste ukrainische Nazi-Kollaborateur und Antisemit Stepan Bandera hat inzwischen 40 Denkmäler in der Ukraine.
Man muss sich klarmachen: Nachdem die Deutschen 1941 in der Ukraine einmarschiert sind, war die Kollaboration dort sehr weit verbreitet. Die Deutschen hatten 200.000 ukrainische Hilfspolizisten, von denen mindestens 40.000 unmittelbar an Juden-Erschiessungen teilgenommen haben.
Diese Kollaboration hat nach Osten hin immer weiter abgenommen. In der Ostukraine war sie schon sehr gering, im heutigen Russland hat es sie kaum noch gegeben. Es existierte keine russische Hilfspolizei der deutschen Besatzer.»
Wladimir Putin verliere den Bezug zur Realität
Was Aly mit am meisten beunruhigt, ist sein Eindruck, dass Putin sich zunehmend eingräbt und von der Wirklichkeit abkoppelt: Das steinerne Gesicht, die bizarr langen Tische nicht nur im Gespräch mit ausländischen Staatsgästen, sondern auch mit engen Mitarbeitern. Der seltsame, offenbar jovial gemeinte Auftritt mit Stewardessen.
Und dann seine Rhetorik, in der Russland zunehmend als Opfer einer westlichen Weltverschwörung erscheint. Wir haben es mit einem Menschen zu tun, der sich zum Alleinherrscher entwickelt hat und wenig Widerspruch duldet. Führungsalternativen sind ausgeschaltet. Es sind keine Nachfolger sichtbar im Regierungsapparat.»
Russland ist vollständig von Wladimir Putin abhängig
Der italienische Diktator Benito Mussolini wurde 1943 vom faschistischen Grossrat abgesetzt. In Nazi-Deutschland, so Aly, wäre das nicht möglich gewesen. Und auch für Putins Russland ist derzeit schwer vorstellbar, dass sich innerhalb der Staatsspitze eine Alternative formiert. Der Staat ist komplett auf die Person Putin ausgerichtet.
Wladimir Putin ist ein einsamer Entscheider. Und er ist jemand, der es sich nicht erlauben kann, Schwäche zu zeigen. «Diese Konstellation kann zu einer irrationalen Radikalisierung führen und zu einem immer obsessiveren Aufpusten der Feindbilder», sagt Aly.
«Jetzt hat er in einer Rede schon eine Formulierung wie "endgültige Lösung der Ukraine-Frage" verwendet. Das klingt gefährlich.» Die «Selbststilisierung zum Opfer mächtiger Feinde» verbinde Ultranationalisten wie Hitler und Putin, schreibt auch Winkler.
Gesprächskanäle müssten offen gehalten werden
Aly warnt jedoch vor der Behauptung, «Wladimir Putin ist der neue Hitler - mit so einem kann man nicht reden». Stattdessen müssten alle Gesprächskanäle offen gehalten werden. Auch Israel, China und Indien haben sich den Sanktionen nicht angeschlossen. Möglicherweise, hoffentlich, kann das ihre Rolle als Vermittler stärken.»
Verbesserung der Beziehung zu Russland
Die Chancen von Besänftigern und Friedensstiftern, die nicht eindeutig Partei ergriffen, könnten vielleicht noch nützlich sein, hofft Aly. «Denn wir müssen den Konflikt einhegen und der Ukraine beistehen – auch mit Waffen. Aber gleichzeitig müssen wir auf eine friedliche Lösung hinarbeiten. Damit verbindet sich die Hoffnung, dass sich in fünf, zehn oder 20 Jahren die Beziehungen mit Russland wieder verbessern können.»