Der Popsänger Xavier Naidoo darf jedenfalls in einer Auseinandersetzung über seine Liedtexte nun doch als Antisemit bezeichnet werden.
Naidoo bei einem Konzert im Juli 2015
Naidoo bei einem Konzert im Juli 2015 - dpa/AFP/Archiv

Das Wichtigste in Kürze

  • Bundesverfassungsgericht hebt Unterlassungsverfügung auf.
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Mit einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss hob das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Verurteilung auf Unterlassung durch das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg auf. Das OLG habe die Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit unzureichend berücksichtigt. (Az: 1 BvR 11/20)

Im Rahmen eines Fachvortrags zum Thema Reichsbürger hatte eine Referentin der Amadeu-Antonio-Stiftung Naidoo im Juli 2017 unter anderem als Antisemiten bezeichnet. Der Sänger verwende in seinen Liedern antisemitische Codes. Dies sei «strukturell nachweisbar», hatte sie gesagt.

Das Landgericht Regensburg und danach auch das OLG Nürnberg sahen darin einen unzulässigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte Naidoos. Sie verurteilten die Referentin, diese Behauptung zu unterlassen. Der Vorwurf habe «Prangerwirkung» und sei nicht hinreichend belegt.

Dies hob das Bundesverfassungsgericht nun auf. Die Referentin habe nicht behauptet, dass Naidoo die Würde von Menschen jüdischer Abstammung grob verletzt habe «und möglicherweise in diesem Sinn sogar handlungsbereit sei». Ihre Äusserung sei klar so zu verstehen, dass er aber antisemitisches Gedankengut weitergebe. Diese Äusserung sei von der Meinungsfreiheit gedeckt. Naidoo müsse «eine scharfe Reaktion auch dann hinnehmen, wenn sie das persönliche Ansehen mindert».

Naidoo habe sich «freiwillig in den öffentlichen Raum begeben» und beanspruche entsprechende Aufmerksamkeit, betonten die Karlsruher Richter. Schon deshalb gehe die Annahme fehl, die Aussage der Referentin habe eine «Prangerwirkung».

Dem Sänger einen besonderen Schutz zuzusprechen, weil er von der Zustimmung seines Publikums abhängig sei, «hiesse Kritik an den durch ihn verbreiteten politischen Ansichten unmöglich zu machen». Eine Diskussion über seine Texte und Ansichten müsse möglich sein. Dabei könne auch Naidoo selbst sich öffentlich gegen die Kritik zur Wehr setzen.

Nach diesen klaren Karlsruher Massgaben muss formal nun das Landgericht Regensburg neu über den Streit entscheiden.

Der Berliner «Tagesspiegel» schrieb am Mittwoch in seiner Online-Ausgabe, Naidoo gebe inzwischen auf seinem Kanal im Messengerdienst Telegram offen antisemitische Äusserungen von sich. So habe er dort behauptet, «Lügen, Hochverrat, Bestechung und Erpressung» lägen in der «Art und Lebensweise der Juden». Auch seien «ziemlich viele Juden in diesen Kinderschänder-Dreck verwickelt», zitierte der «Tagesspiegel» aus Naidoos Telegram-Kanal.

Die Amadeu Antonio Stiftung begrüsste den Karlsruher Beschluss. «Viel zu lange galt der Vorwurf, Antisemit zu sein, schwerwiegender als die öffentlich getätigten antisemitischen Äusserungen selbst», erklärte die Stiftungsvorsitzende Anette Kahane in Berlin. Das Urteil stärke das Recht auf Meinungsfreiheit: «Wer sich antisemitisch äussert, muss sich auch öffentlich als Antisemit bezeichnen lassen dürfen.»

Ziel der 1989 gegründeten Stiftung ist nach deren Angaben die Stärkung einer demokratischen Zivilgesellschaft, «die sich konsequent und überparteilich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet».

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