Wie Putin vom US-Rückzug aus Syrien profitiert
Die USA sind abgezogen, die Türkei marschiert ein und nun kommt Assad zum Zug. Die Situation in Nordsyrien wird bedrohlich. Was bedeutet dies für die Kurden?
Das Wichtigste in Kürze
- Die kurdischen Kräfte sind seit dem Rückzug der USA in Bedrängnis.
- Nun holen sie sich Hilfe beim syrischen Diktator Baschar al-Assad.
- Profitieren dürfte davon nebst Assad auch Wladimir Putin.
Sie waren wie ein Schutzschild für die mehrheitlich kurdische Bevölkerung im Norden Syriens: Die rund 1000 US-Soldaten, die zur Unterstützung der von den kurdischen Volksverteidigungseinheit (YPG) geführten Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) in der Region stationiert waren.
Doch nun hat der Rückzug der US-Berater Recep Tayyip Erdogan Tor und Tür geöffnet, um gegen die kurdischen Milizen der YPG – dem wichtigsten Verbündeten der USA im Kampf gegen den Islamischen Staat – vorzugehen. Nach türkischer Sicht sind die YPG eine Terrorgruppe und gehören bekämpft.
Nun, während sich die USA auf den Rückzug vorbereiten, sind die türkischen Truppen auf dem Vormarsch. Die kurdischen Milizen zeigen sich kämpferisch und gleichzeitig fühlen sie sich von den USA und dem Westen verraten.
Erfolg für Assad
Ganz im Sinne von «der Feind meines Feindes ist mein Freund» haben die YPG- und SDF-Kräfte nun Assad um Hilfe gebeten. Assad hat die Anfrage dankend angenommen und schnell reagiert. Syrische Regierungstruppen sind zur türkischen Grenze verlegt worden.
Eine «militärische» Übereinkunft zwischen der Regierung und den kurdischen Vertretern. Offenbar unter Vermittlung Russlands. Politische Aspekte würden später besprochen, heisst es auf kurdischer Seite.
Klar ist: Die syrischen Kurden forderten in der Vergangenheit nie den Sturz Assads. Lediglich die Errichtung einer weitgehenden Sonderverwaltung der Region war ihr Ziel. Ob sie dies je von Assad erhalten werden, ist unwahrscheinlich.
Doch nachdem Trump ihnen den Schutz entzogen hat, ist Assad wohl derzeit die beste Option. Und Assad war noch nie so nahe an seinem Ziel: Der Rückeroberung ganz Syriens. Es ist ein klarer Erfolg für den syrischen Machthaber und seine russischen und iranischen Verbündeten.
EU in der Zwickmühle
Anders die Europäer. Sie stehen in der Zwickmühle. Zwar verurteilten sie die türkische Invasion aufs schärfste. Zudem wollen mehrere EU-Staaten keine Waffen mehr an die Türkei liefern.
Doch sie sind abhängig von einem Flüchtlingsdeal mit der Türkei. Erdogan droht mit der Aufkündigung des Deals. «Wir werden die Tore öffnen und 3,6 Millionen Flüchtlinge auf ihren Weg schicken», drohte er kürzlich.
Doch weit gefährlicher: Sollte bei einer offenen Konfrontation Assads Truppen den Nato-Partner Türkei angreifen, dürfte dies zur Zerreissprobe für die Nato werden. Würde die Türkei angegriffen, sind die Nato-Staaten zum Beistand verpflichtet – könnten also in einen offenen Krieg hineingezogen werden.
Putin wagt den Spagat
Auch für den russischen Präsidenten Wladimir Putin könnte es zum Balance-Akt werden. Assad wird von Putin seit 2015 militärisch gestützt. Dem Eingreifen Russlands hat Assad zu verdanken, dass er grosse Teile des Landes zurückerobern konnte.
Auf der anderen Seite sind für Putin auch gute Beziehungen zur Türkei von grossem Interesse. Eine Konfrontation zwischen syrischen und türkischen Truppen ist deshalb kaum in russischem Sinne.
Möglich ist aber, dass sich Assad und Erdogan unter russischem Druck auf einen Deal einigen. Während sich die USA zurückgezogen und die Europäer sich weiter von der Türkei distanziert haben, hätte Putin seinen Einfluss in der Region zusätzlich ausgebaut. Verlierer bleiben allen voran aber die Kurden.