Als Vögel im Winter auf dem Mond flogen
Vogelzug ist ein Phänomen, das seit Jahrtausenden fasziniert. Doch warum verzichten immer mehr Störche auf die Reise in den Süden?
Immer mehr Störche verzichten im Winter auf die Reise in den Süden. Dabei haben die schwarz-weissen Vögel massgeblich dazu beigetragen, das Geheimnis des Vogelzugs zu lüften. Bevor ein Storch mit einem Pfeil im Hals entdeckt wurde, herrschte grosse Verwirrung über das plötzliche Verschwinden der Vögel im Winter.
Schon die alten Griechen bemerkten, dass die Vogelarten um sie herum mit den Jahreszeiten wechselten. Aristoteles schloss daraus, dass sich Gartenrotschwänze bei Wintereinbruch in Rotkehlchen verwandeln. Von Störchen und Schwalben glaubte Aristoteles, dass sie den ganzen Winter in Verstecken schlafen und erst im Frühling wieder aufwachen.
Ähnlich abenteuerlich blieben die Theorien bis weit nach dem Mittelalter. Der Schwedische Bischof Olaus Magnus vermutete im 16. Jahrhundert, Vögel würden im Winter an den Boden von Seen sinken. Diese Theorie hielt sich bis in die 1800er-Jahre.
Einige Gelehrte lehnten jedoch die weithin akzeptierte Winterschlaftheorie ab. So zum Beispiel der englische Wissenschaftler Charles Morton.
Die Mond-Theorie und der Pfeilstorch
Für ihn war klar: Vögel fliegen im Winter auf den Mond. In einem im Jahr 1703 erschienen Essay argumentierte Morton, dass niemand jemals einen Zugvogel während den Wintermonaten gesehen hätte und dass es daher wahrscheinlich sei, dass sich die Vögel in dieser Zeit gänzlich von der Erde entfernten. Ausserdem würden die heimkehrenden Vögel bei ihrer Rückkehr im Frühjahr plötzlich über den Schiffen auftauchen, als ob sie vom Himmel fielen.
Dass noch nie jemand einen Zugvogel im Winter gesehen habe, stimmt aber so nicht ganz. Bereits im 15. Jahrhundert berichteten Reisende von der Anwesenheit von Störchen in Afrika, während sie in Europa nicht mehr zu sehen waren. Nach und nach wichen die frühen phantasievollen Erklärungen der Einsicht, dass Vögel in den Süden fliegen.
Eine der ersten physischen Beweise für den Vogelzug ist der «Pfeilstorch» von 1822. In Mecklenburg-Vorpommern, an der Ostsee, wurde damals ein Weissstorch entdeckt, der von einem afrikanischen Speer durchbohrt war.
Ein entscheidender Durchbruch in der Forschung zum Vogelzug brachte die Beringung.
Von Beringung bis GPS-Tracking
Im Jahr 1899 begann der dänische Vogelkundler Hans Christian Cornelius Mortensen systematisch, Vögel mit Aluminiumringen gekennzeichnet. Dies hat die Erforschung des Vogelzugs revolutioniert. Damit war es möglich, herauszufinden, wohin die Vögel genau ziehen. Von den meisten Arten sind heute die Herkunfts- und Zielgebiete sowie die Zugrouten bekannt.
In der Schweiz werden Vögel seit rund 100 Jahren beringt. Im Jahr 1924 wurde die Vogelwarte Sempach im Haus eines begeisterten Ornithologen als Beringungszentrale gegründet. Auch heute beringt die Schweizer Vogelwarte noch jährlich über 100'000 Vögel in der Schweiz.
Grosse Fortschritte macht die Vogelzugforschung aber dank neuer technischer Instrumente.
Die Revolution durch Geolokatoren
Grossen Vögeln wie Störchen und Adlern schnallt man GPS-Sender auf den Rücken, die eine genaue Nachverfolgung der Zugroute erlauben. Bei kleineren Vögeln ist dies allerdings nicht möglich, da die Tracker mit den Batterien relativ schwer sind.
Erst seit ein paar Jahren gibt es auch für Leichtgewichte unter den Vögeln eine Lösung: sogenannte Geolokatoren, die weniger als ein Gramm wiegen. Diese zeichnen auf, wann die Sonne auf- und untergeht und wann sie am höchsten steht. Mit diesen drei Werten kann ungefähr bestimmt werden, wo sich Vögel befinden.
In der Schweiz wurden Geolokatoren im Jahr 2008 zum ersten Mal eingesetzt.
Neuste Erkenntnisse aus dem Vogelzug
Im Gegensatz zu GPS speichern solche Geolokatoren die Daten, ohne sie zu senden und benötigen daher nur eine kleine, leichte Batterie. Dafür muss man die Vögel nach ihrem Zug wieder finden, um die Daten auszulesen. Entwickelt wurden die Lokatoren von der Berner Fachhochschule.
Neuste Modelle von Geolokatoren zeichnen nebst dem Licht auch die Aktivität der Vögel und den Luftruck auf. Damit gewinnen Forschende der Vogelwarte Sempach im Moment viele neue Erkenntnisse. Erst kürzlich fanden sie zum Beispiel heraus, dass Wiedehopfe, anders als zuvor angenommen, hauptsächlich nachts ziehen.