Coronavirus: Internet-Gemeinschaften profitieren von Krise
Wegen des Coronavirus suchen viele einen Anhaltspunkt – oder einen Schuldigen für das ganze Übel. Internet-Gemeinschaften erleben einen Boom.
Das Wichtigste in Kürze
- In der Corona-Krise erleben Internet-Gemeinschaften einen Boom.
- Mehr Menschen suchen in diesen Gruppen einen Halt in ihrem Leben.
- Besonders Verschwörungstheorien sind weiter verbreitet als vor der Pandemie.
Einige Menschen, die in ihrem Leben einen Anhaltspunkt suchen, finden diesen in einer Sekte. Wegen des Coronavirus herrscht weltweit viel Unsicherheit. In Frankreich entstanden durch die Pandemie gar über 500 neue Sekten.
Die Infostelle Relinfo rechnet in der Schweiz mit etwa 1000 religiösen Organisationen mit über 100 Mitgliedern. Davon sind rund ein Viertel – also 250 – als sektenartig einzustufen. Zudem gebe es mehrere Tausend kleinere Gemeinschaften. Haben auch die Schweizer Sekten von der Krise profitiert?
Sekten weniger gefragt
Georg Otto Schmid von Relinfo sagt gegenüber Nau.ch: «Es gibt bisher keine Hinweise darauf, dass die allgemein als Sekten bezeichneten Organisationen (zum Beispiel Zeugen Jehovas, Scientology) von der Corona-Krise profitiert hätten.» Im Gegenteil: Diese werben über persönlichen Kontakt – was in der Krise nur eingeschränkt möglich war.
Auch Susanne Schaaf von infoSekta meint: Ob die Gemeinschaften dank des Coronavirus Zulauf erhielten, könne aufgrund fehlender Daten nicht gesagt werden. Allerdings: «Gruppen wie die Zeugen Jehovas oder Scientology stagnieren seit einiger Zeit.»
Zwar haben solche Gemeinschaften auf das Coronavirus reagiert: Die Zeugen Jehovas sehen darin zum Beispiel das Zeichen, dass sich die Welt vor der Endschlacht Gottes befindet. «Die Pandemie dient der Bestätigung der eigenen Lehre», erklärt Schaaf.
«Face-to-Face»-Treffen fallen weg
Die Krise brachte allerdings auch Nachteile mit sich. Durch die Verschiebung ins Internet können zwar mehr Menschen erreicht werden, sagt Schaaf. Persönliche Treffen fallen allerdings weg, Bindungen können so nicht mehr «Face to Face» vertieft werden.
«Da die psychische Belastung unter Corona jedoch sehr hoch ist, kann man sich gut vorstellen, dass sich Menschen auch zunehmend einfachen und unseriösen Konzepten zuwenden.» Die Krise habe so sicherlich zu radikaleren Einstellungen geführt.
Dieser Meinung ist auch Schmid. «Profitiert haben die netzwerkartigen Strömungen wie zum Beispiel QAnon oder Lichtarbeit», sagt Schmid. Mangels zentraler Organisation können diese zwar nicht als Sekte bezeichnet werden. Allerdings können sie als «radikale Bewegung» eingestuft werden.
Auch Internet-Gemeinschaften erfreuen sich einen Auftrieb: Die Anzahl der Schweizer, die einer Gemeinschaft ausschliesslich übers Internet angehören, nahm wegen des Coronavirus stark zu. Kleinere Gruppen, die sich in der Schweiz nur physisch trafen, gingen hingegen ein.
Grosses Interesse an Online-Veranstaltungen
In Krisenzeiten erinnern sich viele Menschen an ihre religiösen Wurzeln, meint Schmid. «So haben viele Kirchen und Gemeinschaften in der Corona-Krise ein grosses Interesse der eigenen Mitglieder an Online-Veranstaltungen feststellen können.»
Andere Menschen suchen nach anderen Anhaltspunkten in der Krise: «Die zahlenmässig auffälligste Veränderung in der Corona-Zeit ist die massenhafte Hinwendung zu Verschwörungsbewegungen wie QAnon, Lichtarbeit oder Geistheiler Sananda», sagt Schmid.
Die Verschwörungsmythen von QAnon haben sich in der Pandemie wie ein Lauffeuer verbreitet. Häufig mit rechtsextremem Hintergrund. Lichtarbeit beruht auf der Annahme, dass ein «spirituelles Licht» die «Energiearbeit» beeinflusse.
Wegen der Unsicherheit in der Krise seien die Menschen offener für solche einfache Erklärungen, so Schaaf.
Verschwörungstheorien in Zeiten des Coronavirus
Laut einer Umfrage der Universität Basel glauben 10 Prozent der Schweizer Bevölkerung an mindestens eine Verschwörungstheorie. Den grössten Anklang fanden Aussagen, die nahelegten, dass das Virus menschengemacht ist. Auch hier ist die Entwicklung wenig überraschend.
Neben Verschwörungstheorien fanden auch Wunderheiler in der Krise Auftrieb. Besonders die Methode des Fernheilens boomte. «Manche dieser Anbietenden kamen in der Corona-Krise auf Tausende von neuen Kunden», sagt Schmid.