Das Geschenk gehört zu Weihnachten oft dazu – warum eigentlich?
Kurz vor Weihnachten bricht die Panik aus: Es ist noch nicht jedes Geschenk bereit. Doch – warum tun wir uns den Stress an? Warum schenken wir überhaupt?
Das Wichtigste in Kürze
- Nau hat mit dem Soziologen Ueli Mäder über das Schenken gesprochen.
- «Geschenke drücken Wertschätzung aus. Sie sind aber längst zur Pflicht verkommen.»
- «Die Bescherung zwischen Erwachsenen verbreitete sich nach dem Zweiten Weltkrieg.»
Zum Schenken gibt es zahlreiche Sprichworte. Ein chinesisches etwa besagt: «Wer ein Rind geschenkt erhält, muss ein Pferd zurückgeben.» Auch die Spanier kennen zum Schenken einige weise Worte: «Geschenke zerbrechen Felsen.»
Der Volksmund weiss: «Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft.» Und Seneca sagt: «Das wahre Geschenk besteht nicht in dem, was gegeben oder getan wird, sondern in der Absicht des Gebenden oder Handelnden.»
Das Geschenk – wozu eigentlich?
Zum Schenken haben also viele etwas zu sagen. Doch – warum tun wir uns den Päckli-Stress eigentlich Jahr für Jahr an? Und geben viel Geld dafür aus? Der Basler Soziologe Ueli Mäder hat Antworten.
Nau.ch: Beim Schenken können sich kleine und grosse Dramen abspielen.
Ueli Mäder: Ja, Weihnachten ist eine emotionale Zeit. Da gibt es viel Liebe. Und viel Gewalt. Vor allem auch, weil die Erwartungen so hoch sind. Da sind Enttäuschungen vorprogrammiert.
Nau.ch: Wer zu Weihnachten ein Päckli verpackt und etwas verschenkt, imitiert damit die Heiligen Drei Könige. Sie kamen mit Geschenken nach Bethlehem. Stimmt das?
Ueli Mäder: Es mag schon sein, dass sich Menschen beim Schenken wie kleine Könige fühlen. Aber nach dem Evangelium galt eigentlich die Geburt Christi als Geschenk. Die Gaben der Drei Könige sind eher am Rande erwähnt. Weihnachtliche Geschenke kommen nicht vor.
Nau.ch: Aber woher kommt dann die lange Tradition des Schenkens?
Ueli Mäder: Soziologe Marcel Mauss hat 1923 ein Buch über «Die Gabe» geschrieben. Die Gabe hat in archaischen Gesellschaften etwas Ordnendes. Sie fördert Beziehungen und den sozialen Ausgleich.
Nau.ch: Also haben Religion und Schenken nichts miteinander zu tun?
Ueli Mäder: Doch. Vor unserer Zeitrechnung dienten Geschenke dazu, Götter gütig zu stimmen. Menschen tauschten symbolische Glücksbringer auch untereinander aus. Vor allem an Festtagen. Im dritten Jahrhundert kam der St. Nikolaus auf. Er beschenkte Kinder und Arme.
Warum wir zu Weihnachten schenken
Nau.ch: Aber warum schenken wir gerade zu Weihnachten?
Ueli Mäder: Mit der Reformation verlagerte sich der katholisch geprägte Brauch auf Weihnachten. Die reichliche Bescherung zwischen Erwachsenen verbreitete sich dann nach dem Zweiten Weltkrieg.
Nau.ch: Was bewirkt die Gabe in unserer Gesellschaft in der heutigen Zeit?
Ueli Mäder: Soziale Verbundenheit setzt Wohlwollen voraus. Sie sucht die Augenhöhe. Sobald sich die einen über andere erheben, entsteht ein hierarchisches Gefälle. Das zeigt sich auch bei altruistischem Gehabe.
Nau.ch: Das heisst: Schenken ist nicht immer gut gemeint?
Ueli Mäder: Geschenke drücken Wertschätzung aus. Sie sind aber längst zur Pflicht verkommen. Ein Muss. Geschenke symbolisieren auch Status, Macht und einseitige Abhängigkeiten. Sie festigen einen Zusammenhalt aus Zwang.
Nau.ch: Und was ist mit dem Annehmen eines Geschenks: Kann man ohne Folge nein sagen?
Ueli Mäder: In persönlichen Geschenken stecken auch moralische Erwartungen. Sie können kränken. Besonders dann, wenn Beschenkte mitspielen müssen, um Gebende nicht zu verletzen.
Das Geschenk mit Erwartungen
Nau.ch: Muss man sich für ein Geschenk immer revanchieren?
Ueli Mäder: Nein. Es gibt Geschenke mit psycho-ökonomischem Kalkül. Das tat ich für dich – was tust du für mich? Geschenke sind dann Investitionen in die Zukunft. Ich gebe, um später ernten zu können.
Es gibt aber auch ein anderes Schenken, das wirklich gut gemeint ist und einfach Freude bereiten will. Mit etwas, das stimmig ist. Vielleicht wie der Weihrauch von Melchior oder die Myrrhe von Caspar. Es muss ja nicht immer das Gold von König Balthasar sein.