Digitales Phänomen BookTok mischt analogen Literaturbetrieb auf

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Bern,

Buchliebhaberinnen und -liebhaber veröffentlichen unter dem Hashtag BookTok persönliche Buchrezensionen auf der Videoplattform TikTok.

BookTok
Unter jungen Erwachsenen löst BookTok einen Leseboom aus. (Archivbild) - sda - Keystone/dpa/Arne Dedert

Unter dem Hashtag BookTok veröffentlichen Buchliebhaberinnen und -liebhaber auf der Videoplattform TikTok persönliche Buchrezensionen. Daraus hat sich ein weltweites Phänomen entwickelt, das den Literaturbetrieb auch in der Schweiz aufmischt. Unter jungen Erwachsenen löst BookTok einen Leseboom aus.

Objektive Kriterien oder das Gefühl: Wonach beurteilt man ein Buch? Auf dem Videoportal TikTok, wo unter dem Hashtag #booktok über Bücher gesprochen wird, steht meist das persönliche Empfinden im Vordergrund. «Das hat mich so berührt!» oder «Ich habs gefeiert, ich habs geliebt!», und auch: «Ein Buch, das ich meiner besten Freundin empfehlen würde.»

Besprochen werden in den meist kurzen Videos vor allem Liebes- und Fantasyromane für Jugendliche und junge Erwachsene, sogenannte Young und New Adult-Bücher, dazu queere Literatur und psychologische Sachbücher, aber auch Biografien und Klassiker wie zum Beispiel Emily Dickinson oder Franz Kafka.

Vom digitalen Trend zum weltweiten Phänomen im Literaturbetrieb

In den letzten Jahren hat sich aus dem Austausch innerhalb einer überschaubaren, abseits von der öffentlichen Wahrnehmung agierenden Community ein weltweites Phänomen entwickelt. Dabei hat BookTok den Sprung aus der digitalen in die analoge Welt geschafft und ist zum festen Bestandteil des Literaturbetriebs geworden. Es gibt BookTok-Festivals, Bücherläden unterhalten BookTok-Ecken, Verlage bezahlen Influencer für Posts und schicken ihnen Pakete mit Vorabexemplaren, die dann in sogenannten Unboxing-Videos feierlich ausgepackt werden.

Tanja Messerli, Geschäftsführerin des Schweizer Buchhandels- und Verlagsverbands (SBVV), verfolgt den Trend mit Interesse. «Am Anfang war es einfach ein Hashtag mit grosser Aufmerksamkeit. Es waren die Buchhandlungen, die zuerst auf den Trend reagierten und seitdem Bücher, die auf TikTok viral gehen, im Laden prominent platzieren.»

Denn: Was unter #booktok digital die grosse Runde macht, wird oft zum Verkaufsschlager, auch wenn sich der Kausalzusammenhang in der Schweiz noch nicht mit Zahlen belegen lässt. «Der 2023 erschienene Debütroman ‹22 Bahnen› von Caroline Wahl ist im deutschsprachigen Raum eines der ersten Bücher, das es sicher auch dank BookTok in die Bestsellerlisten schaffte. Es gab eine Wechselwirkung zwischen BookTok, Buchhandlungen und Buchverkäufen», sagt Messerli.

BookTok zeigt trotzigen Widerstand gegen den traditionellen Literaturbetrieb

«Dass BookTok den Literaturbetrieb so aufmischt, hat mich überrascht», sagt Christine Lötscher, Professorin für Populäre Literaturen und Medien an der Universität Zürich. «Da geht es um Communities, die normalerweise abseits vom Literaturbetrieb in einer Parallelwelt laufen. So kommt in der BookTok-Kultur auch ein trotziger Widerstand gegenüber dem traditionellen Literaturbetrieb zum Ausdruck. Eines Literaturbetriebs, der Liebesromane und Frauenliteratur immer abgewertet hat.»

Auf BookTok werde das Intime, der Austausch über innere Welten zelebriert. «Dabei geht es um eine kulturelle Position, die lange marginalisiert wurde und die jetzt den Mainstream übernimmt. Gefühle dürfen wieder ins Zentrum gerückt werden. Deshalb ist es nicht einfach nur Kitsch, über Gefühle zu sprechen, es ist eine politische Positionierung.»

Dank BookTok wird Lesen für viele niederschwellig zugänglich

Josia Jourdan aus Berlin, aufgewachsen in Basel, hat auf TikTok über 21'000 Follower. Der Journalist schreibt für verschiedene Print- und Onlinemedien über Literatur und LGBTQ+-Themen. TikTok nutzt er, um über Bücher zu sprechen, die ihm am Herzen liegen. «Dank BookTok wird das Lesen niederschwellig zugänglich und begeistert Menschen, die sonst nicht mit Büchern in Berührung gekommen wären», sagt Jourdan.

«Statt Medienhäuser diktieren zu lassen, welche Bücher gut sind oder gelesen werden sollten, sind es nun Menschen im gleichen Alter, die sich gegenseitig ihre Lieblingsbücher empfehlen.» Josia Jourdan – heute 22 Jahre alt – war schon während der Schulzeit eine Leseratte. Cool sei Lesen damals aber noch nicht gewesen, sagt er. «Heute sehe ich gerade vermehrt bei einem weiblichen Publikum, dass Lesen wieder trendy geworden ist.»

Bookfluencerinnen machen das Lesen für junge Menschen wieder cool, populär und relevant, davon zeigen sich auch Tanja Messerli und Christine Lötscher überzeugt. «Damit hat #booktok etwas geschafft, was Schulen und der Politik in den letzten Jahren leider nicht gelungen ist: Das Lesen wieder mehr in der Gesellschaft zu verankern», sagt Messerli.

Eskapismus und Therapiefunktion

Doch wie nachhaltig ist dieser Leseboom? «Auf Booktok werden verschiedene Lesemodi abgedeckt: Das eskapistische Lesen, bei dem man in eine andere Welt abtaucht. Auch die Therapiefunktion des Lesens wird auf Booktok immer wieder betont.

Oder das Lesen, bei dem man einen Raum ganz für sich hat. Das sind alles Lesemodi, die Teil einer Lebenspraxis werden», sagt Lötscher. Mal angefangen, höre man nicht so schnell wieder damit auf.

«Lange war der Hauptgrund, um zu lesen, das Aneignen von Wissen und Bildung. Doch in der heutigen Leistungsgesellschaft, wo alle ständig performen müssen, ist Bildung nicht mehr das, was abends auch noch interessiert. Viele ziehen sich lieber eine Netflix-Serie rein. Und landen dann irgendwann beim Buch: Hier können sie ganz in ihrem Tempo vorwärtskommen und noch besser in andere Welten eintauchen.»

BookTok feiert das gedruckte Buch

Die BookTok-Community feiert besonders das gedruckte Buch, das als eine Art Fanartikel verstanden wird und auch so behandelt wird. Eselsohren sind tabu, Notizen werden auf farblich passenden Post-its sorgfältig an den Seitenrand geklebt.

Das Lesen an sich wird oft thematisiert («Ich habs verschlungen!»), besonders auch das Viellesen und der damit verbundene Stress («Mein 15. Buch in diesem Monat», «So viele tolle neue Bücher. Wie soll ich das alles schaffen?»).

Menschen zwischen 16 und 25 zählten zu den leidenschaftlichsten und konsumstärksten Zielgruppen, sagt Josia Jourdan. «Gleichzeitig gibt es während der Schulzeit so viel, was uns vom Lesen ablenkt und vielleicht auch wichtiger erscheint. Deshalb glaube ich, geht es längerfristig vor allem darum, die Freude am Buch zu wecken, unabhängig davon, wie viel dann tatsächlich gelesen wird.»*

*Dieser Text von Maria Künzli, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.

Kommentare

User #3807 (nicht angemeldet)

wer hat noch nicht, wer will nochmal?

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