Fatal: Eine gute Immunabwehr kann Multiple Sklerose fördern
Fitte T-Lymphozyten sind in der Regel ein Segen, denn sie steuern die Immunabwehr. Manchmal sind sie freilich kontraproduktiv, wie Zürcher Forscher jetzt zeigen: Eine Gruppe, die das Epstein-Barr-Virus bekämpft, greift auch das Hirn an und löst Multiple Sklerose aus.
Das Wichtigste in Kürze
- Im Fokus steht dabei die Genvariation HLA-DR15, die ein Viertel der gesunden Bevölkerung in sich trägt.
«Seit fast fünfzig Jahren ist bekannt, dass eine Genvariation namens HLA-DR15 stark mit Multipler Sklerose (MS) assoziiert ist; sie ist für bis zu 60 Prozent des genetischen Risikos verantwortlich», schreibt die Uni Zürich (UZH) in einer Mitteilung vom Donnerstag.
Was aber triggert diese Genvariation so, dass sie destruktiv wird? Das fragte sich eine internationale, interdisziplinäre Forschergruppe unter der Führung von UZH-Professor Roland Martin, Leiter der Abteilung Neuroimmunologie und MS Forschung am Universitätsspital Zürich.
«Wenn sich die Träger dieses häufigen Gens zusätzlich mit dem Epstein-Barr-Virus infizieren und eine symptomatische Infektion, das sogenannte Pfeiffer’sche Drüsenfieber, durchmachen, steigt das Risiko für MS noch einmal um das 15-fache», schreibt Martin.
Es ist eine besondere Stärke, welche die Immunzellen von Menschen mit HLA-DR15 aufweisen, die sie zugleich gefährlich macht: Sie können bestimmte Mikroben wie das Epstein-Barr-Virus sehr effektiv erkennen - doch diese Fitness kann auch eine unerwünschte Immunreaktion gegen das Hirngewebe mit sich bringen.
Die Genprodukte von HLA-DR15 bringen T-Lymphozyten bei, fremde Eiweisse von körpereigenem Gewebe zu unterscheiden. Dieses individuelle Training findet zunächst im Thymus und danach im Blut statt. Im Blut lernen sie zusätzlich, Bruchstücke des Epstein-Barr-Virus zu erkennen, wenn der Träger sich hiermit infiziert. Im Gegensatz zu den HLA-DR15-Bruchstücken wirken die Bruchstücke des Virus sehr viel stärker aktivierend.
Dies führt dazu, dass die T-Lymphozyten nicht nur virusinfizierte Zellen in Schach halten, sondern auch in das Gehirn einwandern und dort mit körpereigenen Eiweissen, die bei MS eine Autoimmunreaktion auslösen, reagieren können.
*Fachpublikationsnummer DOI: 10.1016/j.cell.2020.09.054