Glanz und Elend im Tessiner Unruhestand - Unter Palmen und Germanen
Ein schöner Ruhestand in der Sonnenstube sollte es werden. Villa und Geld waren vorhanden. Aber dann starb die Gattin. Egon Zylla wollte dennoch das Leben geniessen. Doch dafür war er nicht begabt. Falsche Freunde halfen. Vor allem sich selbst. Egon endete eingesackt und halbvermodert im Graben.
Das Wichtigste in Kürze
- «Ein Männlein liegt im Walde/ganz still und stumm./Es hat aus lauter Plastik/ein Mäntlein um».
So soll man in der Bar «Piazzetta» in Ascona gesungen haben, nachdem Egon Zyllas sterbliche Überreste im September 1971 gefunden worden waren. Das berichtete jedenfalls ein Reporter der «Schweizer Illustrierten».
Das Lokal war damals ein Treffpunkt der steuerflüchtigen deutschen Schickeria, eine Ansammlung von mehr oder weniger betuchten «Blöffsäcken». Das 1.60 Meter kleine Männlein, das besungen wurde, hatte es ebenfalls mit Protzen versucht, hatte Tausendernötli als Trinkgeld gegeben und Bardamen mit Nerzen und Juwelen beglückt. Für weitere Investitionen sexueller Natur lagerte der frischgebackene Witwer Klunker in Couverts im Bücherregal.
Egon Zylla konnte nichts dafür, dass er keine Klasse besass. Er war nicht mit dem Silberlöffel im Mund geboren worden, er hatte in 30-jähriger Schwerarbeit ein Autohaus aufgebaut. Die Zeit war günstig gewesen, nach dem Krieg konnten sich Normalsterbliche erstmals Autos leisten. Egon verdiente gut mit seiner Opel-Vertretung, der Kadett war der Verkaufsschlager des deutschen Wirtschaftswunders. Drei Millionen Mark soll ihm schliesslich der Verkauf seines Betriebs Ende der 1960er gebracht haben.
Mit einem Teil davon baute der Frühpensionierte für sich und seine Frau den Alterswohnsitz «Anseatica» in bester Lage ob Ascona. Die Presse nannte es später eine «Traumvilla», aber Augenzeugen schilderten es als eng, bieder und dunkel, überladen mit deutscher Eiche. Der Pool hatte die Form eines längst unmodernen Nierentischs und war auch nicht viel grösser. Mit 850'000 Franken war das Bonsai-Anwesen nach übereinstimmender Ansicht überteuert.
Aber es war ja genug Geld übrig, um sich einen schönen Lebensabend unter Palmen und Teutonen zu machen. In der Vorfreude darauf veranstalteten die Zyllas im Sommer 1969 eine Partnertauschparty - nicht ungewöhnlich für die versexte Wirtschaftswunderzeit. Zu fortgeschrittener Stunde fiel Frau Zylla unglücklich und zog sich eine blutende Wunde zu. Um zum Arzt zu gehen, war sie zu besoffen und Egon auch. Am nächsten Morgen war es zu spät für die Tetanus-Spritze, die Frau starb an Starrkrampf.
Freunde warnten den 59-Jährigen vor dem Umzug in die Fremde, doch er liess sich nicht abbringen. Er war ja Millionär, normalerweise ein angesehener Stand. Doch es öffneten sich ihm in der Sonnenstube weder Herzen noch Türen, trotz grosszügiger Geschenke. Im Frühjahr 1971 war die Lage so prekär, dass seine Töchter ein Entmündigungsverfahren anstrengten, um wenigstens noch ein bisschen des Erbes zu retten. Und da begegnete Egon seinem Schicksal.
Seine Landsleute Willi Geuer (53) und Gisela Kemperdick (43) versprachen, ihn in die gute Gesellschaft einzuführen - endlich! Und sie vermittelten ihm einen Anwalt, der die Entmündigung verhindern sollte. Dieser Flavio Cotti konnte was, er hatte auch schon Giselas Auslieferung an Deutschland wegen Steuerhinterziehung verhindert.
Der spätere Bundesrat Cotti ist praktisch der einzige in dieser Geschichte, der es zu etwas gebracht hat - neben Carla Bonvin, der späteren Carla del Ponte, die 1973 als 24-jährige Anwältin Zyllas Mörder verteidigte. Aber wir greifen vor.
Gisela Kemperdick (Zylla nannte sie zärtlich «Muschi») war Galeristin und hatte Alte Meister vertickert - ob echte oder falsche, darüber gehen die Meinungen auseinander. Zylla selber soll bei ihr einen Rembrandt zum Schnäppchenpreis von 300'000 Franken erworben haben. Das Bild war später unauffindbar.
Die hübsche «Muschi» und ihr Lebensgefährte Geuer waren das Grosskanzlerpaar eines falschen Malteserordens und verkauften Mitgliedschaften - Kostenpunkt 20'000 bis 200'000 Franken. Das liess sich Zylla nicht entgehen, ebensowenig wie einige Renditeprojekte, die ihm Geuer vorschlug.
Diese Geschäftsmodelle waren kompliziert. Sicher ist, dass das Geld versickerte. Auch die 345'000 Franken, die Zylla ins Teppichgeschäft eines anderen treuen Begleiters, Romolo Stoppini (33), investierte, kamen nicht mehr zurück, geschweige denn mit Zins. Wie auch? Stoppini war gar nicht der Besitzer, sondern nur ein Angestellter des Ladens.
Am 20. August 1971 wollte Zylla Stoppini zur Rede stellen. Dieser lud ihn zu einer kleinen Sexorgie nach Gordemo, ins Haus seines Arbeitskollegen Wolfgang Manser (43). Geuer fuhr Zylla da hin und machte sich dann davon an eine andere Party - im Prozess hiess es später, um sich ein Alibi zu verschaffen.
Zylla wurde schon im Hausflur von Manser erdrosselt. Der Appenzeller, der bereits einmal wegen Mordes gesessen hatte, benannte im Gerichtsverfahren Stoppini als Auftraggeber. Dieser wiederum bezeichnete sich nur als Mittelsmann zwischen Geuer und Manser. Geuer erhielt lebenslänglich, Manser, Stoppini und Kemperdick 18 Jahre.
1992 kam es zur überraschenden Wende: Stoppini widerrief plötzlich und behauptete, der Kunstmaler Iwan Meister habe Zylla erschossen, Manser habe einzig die Leiche entsorgt. Er, Stoppini, habe erst Meisters Tod abwarten wollen, bevor er seine frühere Aussage korrigiere.
Dieser Rückzieher wäre an sich Grund genug für eine Revision gewesen, zumal Geuer und Kemperdick stets ihre Beteiligung geleugnet hatten. Doch weder der Tessiner Kassationshof noch das Bundesgericht hielten ein Berufungsverfahren für angezeigt.
«Cash» brachte noch vor dem Entscheid des Bundesgerichts 1999 eine Artikelserie, in der die Geuers - sie hatten nach der Haftentlassung geheiratet - entlastet wurden. Eines der Argumente war, dass sich an Zyllas vermoderter Kleidung zwei Blutflecken befunden hätten, die auf eine Schusswunde deuteten. Das Beweisstück sei dann aber «versehentlich» vor der Gerichtsverhandlung gewaschen worden.
Die Geuers waren Gauner, unbestreitbar. Aber nicht jeder Betrüger taugt auch zum Mörder. In Abwandlung eines Brecht-Zitats könnte man sagen: «Wir sehn betroffen die Akte zu und alle Fragen offen»