Im Parlament tragen Männer Uniform – und Frauen fallen auf
Das Wichtigste in Kürze
- Frauen werden öfter nach ihrer Kleidung gefragt oder bewertet als Männer.
- Das liegt auch an den Frauen selber, so Stilexpertin Simone Styger.
- Männer bieten zudem weniger Angriffsfläche, weil sie eine Uniform haben: den Anzug.
Es passiert Frauen auf dem roten Teppich ebenso wie jenen in der Politik. Nur den Frauen, nicht aber den Männern. Was? Statt zu ihrer Arbeit, ihrer Meinung oder ihrem Engagement, werden sie zu ihrer Kleidung befragt.
Warum ist es im Jahr 2019 immer noch die Frau, bei der das Äussere so sehr interessiert? Nicht unterzukriegende, patriarchale Tendenzen? Stilberaterin Simone Styger schüttelt den Kopf.
«Männer tragen Uniform»
Daran, dass bei Frauen oft auch über ihre Kleider berichtet wird, seien unter anderem – die Frauen selber Schuld. «Männer», sagt die Stilberaterin, «bieten kaum Angriffsfläche. Frauen schon». Männer nämlich hätten längst eine Art Uniform für die Arbeitswelt entwickelt: den Anzug.
Dieser lässt sich auch bestens auf dem politischen Parkett einsetzen. «Klar, die Hosenbeine können mal zu kurz, das Hemd zu eng oder die Ärmel zu lang sein. Das sieht dann auch lustig aus. Aber allzu auffällig ist es nicht», so die Stilberaterin.
Frauen sind relativ neu im Parlament
Frauen hingegen seien in Kaderpositionen und Politik ein neueres Phänomen. «Frauen sind in der Politik immer noch ‹die Anderen›», so Styger. Mit anderen Worten: Frauen hatten bisher noch gar keine Zeit, sich analog dem Herrenanzug eine Businessuniform zuzulegen.
Und etwas anderes kommt erschwerend hinzu. «Die Kleiderauswahl für Frauen ist viel grösser als für Männer. Der Stil bei Frauen ist vielseitiger. Das bietet mehr Optionen – und damit auch mehr Gelegenheiten, etwas falsch zu machen.»
Von Socken und Strümpfen
Die Etwas-Liste ist lang. Da sind etwa blickdichte Socken. Mit schicken Schuhen kombiniert für Frauen ein No-Go. Für Männer nicht.
«Vieles beim Stil hat mit Gewohnheit zu tun. Eine elegant gekleidete Frau mit dicken Socken gibt ebenso zu reden,wie ein Herr mit Nylonstrümpfen.»
Oder A-linienförmige Jupes und Kleider. «Sie erinnern an ein unbeholfenes Weibchen und wecken damit den Beschützerinstinkt bei Männern. Das will man als Politikerin ja gerade nicht. Besser ist es darum, gerade Kleider zu tragen.»
Die eigene Weiblichkeit unterstreichen sei durchaus in Ordnung, meint die Stilexpertin. Ebenso, dem eigenen Stil treu zu bleiben. Wer für ein neues Amt komplett davon abweiche, sehe so oder so rasch verkleidet aus.
Frauen wagen kleidertechnisch mehr
Ob allerdings über ihre Garderobe gesprochen werde oder nicht, hätten Frauen selber in der Hand. «Mann und Frau muss sich beim Anziehen stets fragen: Was ist heute meine Funktion? Was soll heute mehr auffallen: mein Aussehen, oder meine Inhalte?»
In der Freizeit oder an einem besonderen Event sei es in Ordnung, aufzufallen. Stehen dagegen Inhalte im Zentrum, rät die Stilexpertin zu gedeckten Farben. «Nicht mit der Kleidung aufzufallen, ist dann besser», so Styger.
Wer ein rotes Kleidungsstück wähle, wisse, dass sie oder er mit dieser Signalfarbe die Blicke auf sich ziehe. «Und dann wird auch über die Kleidung gesprochen.»
Das sei allerdings bei Männern und Frauen gleich. «Auch ein Politiker im bunt karierten Sakko gibt zu reden», sagt die Stilberaterin. Bloss seien Frauen es sich gewohnt, gewagtere Kleider zu tragen. Anders als die Männer, die am liebsten zu ihrer althergebrachten Uniform greifen.