Krankenkasse zahlt: Darum triggern Abnehmspritzen so stark
In der Schweiz werden Abnehmspritzen teilweise von der Krankenkasse übernommen. Das sorgt für Kritik. Ärzte nehmen betroffene Adipositas-Patienten in Schutz.
Das Wichtigste in Kürze
- Dass Abnehmspritzen hierzulande von der Krankenkasse bezahlt werden, sorgt für Kritik.
- So findet etwa jemand, Übergewichtige sollten einfach Sport machen und gesund essen.
- Ärzte nehmen Adipositas-Patienten nun in Schutz – und erklären die Krankheit.
Die Abnehmspritzen in der Schweiz boomen. Pro Kopf werden hierzulande mehr Spritzen eingesetzt als in den USA, Kanada oder Deutschland. Das zeigte kürzlich eine neue Studie der Universität Zürich (UZH).
Laut Studienleiterin und UZH-Professorin Kerstin Noëlle Vokinger liegt das daran, dass in der Schweiz die Krankenkasse für das Abnehmmittel aufkommt. Im Gegensatz zu den anderen drei Ländern übernimmt die Grundversicherung hierzulande unter gewissen Bedingungen nämlich die Behandlungskosten.
Dass die Abnehmspritzen in der Schweiz teilweise von der Krankenkasse übernommen werden, sorgt bei einigen jedoch für rote Köpfe.
Unter einem Beitrag von Nau.ch auf der Plattform X schimpft ein User: «Sauerei, dass sie Kassen zahlen! Sollen Sport machen und gesund essen ... wie die Schlanken!»
Fördert die Debatte rund um die Abnehmspritzen Diskriminierung von übergewichtigen Personen?
«Kann mir vorstellen, dass es diese Tendenz gibt»
Bei Philipp Gerber, dem klinischen Leiter des Adipositas Zentrum Zürich, hätten Patientinnen und Patienten noch keine solchen Anfeindungen erlebt. Aber: «Ich kann mir vorstellen, dass es diese Tendenz gibt», sagt der Arzt des Unispitals Zürich gegenüber Nau.ch.
«Es gibt die Vorstellung, dass Adipositas eine reine Kopfsache ist – und das stimmt einfach nicht.» Adipositas sei eine Krankheit, bei der die Hunger- und Sättigungsmechanismen nicht korrekt funktionieren, erklärt er. Deshalb sei es für die Betroffenen extrem schwierig, ohne Hilfe Gewicht zu verlieren.
Ähnlich klingt es auch bei der Adipositas Allianz Schweiz auf Anfrage. Nach wie vor würden Menschen mit Adipositas in der Gesellschaft als «willensschwach» angesehen.
«Die Krankheit Adipositas wird oft noch als selbst verschuldet angesehen. Dies entspricht selbstverständlich nicht mehr dem wissenschaftlichen Kenntnisstand», erklärt Bernd Schultes, Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie.
Aufgrund der Schuldzuweisung werde eine Entlastung durch eine medikamentöse Therapie fast schon als «Sünde» angesehen.
Dem zugrunde liege ein kulturell geprägtes Menschenbild. Ein Bild, «das aufgrund von neuen Therapiemöglichkeiten des sensiblen Themas Essverhalten und Körpergewicht offensichtlich für manche angegriffen zu sein scheint.»
Kostenintensive Folgeerkrankungen drohen
Laut Annic Baumgartner, Ärztin am Kantonsspital Aarau, haben Adipositas-Patienten zudem ein deutlich erhöhtes Risiko für Folgeerkrankungen. Diese sind teilweise noch kostenintensiver. Darunter Diabetes, Herzinfarkt oder Bluthochdruck.
«Es ist also auch in volkswirtschaftlichem Sinne anzustreben, den Menschen zu helfen, ihr Gewicht dauerhaft zu senken», erklärt sie.
Dem stimmt Philipp Gerber zu. Es sage niemand etwas, wenn Folgekrankheiten des Übergewichts bekämpft würden. «Aber wenn man versucht, das Problem bei der Wurzel zu packen, dann ist plötzlich Unruhe. Das ist ja auch etwas komisch.»
Krankenkasse zahlt nur bei medizinischem Vorteil
Zum Thema Krankenkasse betont er zudem: Es werde nur in Fällen bezahlt, bei denen es auch einen medizinischen Benefit gibt.
Trotzdem – bei der Adipositas Allianz Schweiz kann man sich vorstellen, wie die kritische Diskussion um die Abnehmspritzen entstanden ist.
Das Thema biete sich als emotionale Kampffläche geradezu an, heisst es. «Da die finanziellen Ressourcen unseres Gesundheitssystems begrenzt sind und die Finanzierung allgemein unter starkem Druck steht», so Bernd Schultes.