KV-Schüler proben den Aufstand gegen neuen Lehrplan
Das KV muss sich erneuern, um mit unseren modernen Zeiten mithalten zu können. Dazu wird bis 2022 die KV-Berufsschule komplett umgewälzt. Das passt nicht allen.
Das Wichtigste in Kürze
- Unser Alltag wandelt sich – und damit auch die Arbeitswelt. Berufsschulen passen sich an.
- Besonders betroffen ist die KV-Lehre. Hier gibt es ab 2022 ein neues Schulsystem.
- Doch einige Schüler eines Berner Pilot-Versuches haben die Nase voll.
Er gab zu reden: der Lehrplan 21. Anstelle der klassischen Schulfächer, rücken Kompetenzen in den Fokus. Kinder sollen individueller gefördert, zur Selbstständigkeit erzogen und damit besser auf die Arbeitswelt vorbereitet werden.
Während das Lernen in der Primarschule sich also wandelt, herrschen in den weiterführenden Schulen und Berufsbildungen alte Strukturen. Das soll sich nun ändern.
Ab 2022 alles neu beim KV
Mit seinem Projekt «Kaufleute 2022» will der Berufsverband die kaufmännische Grundbildung «für die Zukunft fit machen». Das erklärt Michael Kraft, Leiter Bildung beim Kaufmännischen Verband Schweiz.
Aktuell ist das KV die beliebteste Ausbildung bei Berufsschülern. Ein Grund dafür dürften auch die rund 21 verschiedenen Ausbildungsbranchen sein, die das KV unter einem Dach vereint. Ob diese mit den neuen, berufsspezifischen Kompetenzen so erhalten bleiben, steht noch in den Sternen.
Klar ist: Die Umstrukturierung der Berufsschule für KV-Lernende hat nur schon wegen der schieren Menge an Lernenden eine wegweisende Funktion. Zwar ist «Kaufleute 2022» noch nicht spruchreif. Dennoch werden an vier Schulen in Bern, Zürich, Luzern und Uzwil bereits neue Unterrichtsformen geprobt.
Schlechte Vorbereitung auf KV Berufsalltag
«Der aktuelle, klassische Schulunterricht am KV bereitet die Lernenden gut auf die Abschlussprüfungen vor. Aber wenig auf den heutigen Berufsalltag», erklärt Peter Kaeser.
Er ist Vizedirektor der Wirtschafts- und Kaderschule Bern (WKS). Dort startete 2017 das Pilotprojekt «Begleitetes selbstorganisiertes Lernen» (BGSOL).
Analog dem Lehrplan 21, sollen ab 2022 Handlungskompetenzen, und nicht mehr «klassische Schulfächer in unflexiblen 45-Minuten-Blöcken» den Ton angeben. Statt alles von ihren Lehrpersonen organisiert zu bekommen, sollen die Lernenden Selbstständigkeit und -verantwortung üben.
Pilot-Versuch in Bern
Im August 2018 wurde die Theorie in die Praxis umgesetzt: Zwei KV- und zwei Handelsschul-Klassen starteten ihre Berufsschule im neuen Modell. Anstelle von Klassenzimmern, gibt es Coworking-Spaces für kleinere Gruppen.
Statt 45 Minuten Unterricht, liefern die Lehrpersonen nun 20-minütige Fach-Inputs in der Mitte des Tages. Davor und danach lernen die Auszubildenden eigenständig – meist in kleinen Gruppen.
Zwei bis vier Lehrpersonen stehen während der freien Lernzeit zur Verfügung, wenn Fragen oder Nachholbedarf bestehen. «Ein Coach unterstützt die Lernenden zudem persönlich in der Planung ihrer Lerntätigkeit», erklärt Kraft.
Material und Prüfungen bleiben (noch) alt
Während die Unterrichtsform dadurch sehr flexibel daherkommt, entspricht das Unterrichtsmaterial noch der klassischen Ausbildung. «Die Lernenden aus dem Pilotprojekt werden die gleichen Prüfungen ablegen, wie jene, die die herkömmliche Ausbildung absolvieren», so Kaeser.
Dass am Ende die gleiche Leistungskontrolle ansteht, obwohl der Weg dorthin ein anderer ist, «scheint für die Lernenden eine Herausforderung», so Kaeser. Von den rund 37 KV-Lernenden, die sich freiwillig für das Projekt gemeldet haben, beantragten rund zehn den Wechsel zurück in die alte Struktur.
«Diese Möglichkeit stand den Teilnehmern des Pilotprojekts jederzeit offen», erklärt Kaeser. Keiner der Lernenden werde gezwungen, seine Ausbildung innerhalb des neuen Modells zu absolvieren. Als Grund für den Wechsel gaben einige Schüler die Sorge vor schlechteren Noten an.
Ein Blick in die Zeugnisse zeige allerdings, dass «die Klassenschnitte im gleichen Rahmen wie bei den anderen Klassen sind», erklärt Kaeser.
«Eine grosse Herausforderung»
Bei den Handelsschülern hat es keine Abgänge gegeben. Das liegt allerdings nicht an einer höheren Zufriedenheit mit dem modernen Lernen. Das liegt an der Tatsache, dass diese Schüler keine Alternative haben. An der WKS werden pro Jahrgang nur zwei Handelsschulklassen durchgeführt.
Kaeser kann die Abgänge nachvollziehen. Der Pilot werde von den Beteiligten positiv bewertet, sei aber «eine grosse Herausforderung». Denn obwohl die Lehrpersonen dereinst mit den neuen Strukturen weniger Aufwand haben sollen – aktuell arbeiten alle Beteiligten mehr.
Alte KV-Lernform war einfacher
Und auch auf den Schultern der Lernenden lastet mehr Arbeit. Während sie ihren Stoff zuvor von den jeweiligen Fachlehrkräften organisiert bekommen hatten, müssen sie die Verantwortung nun selber übernehmen. Das braucht Selbstverantwortung und Organisationstalent.
Kaeser ist sich bewusst, dass die alten Lernformen einfacher waren für seine Schützlinge. Dennoch ist er überzeugt, dass sie von den neuen Strukturen mehr profitieren werden. «Wir wollen den Lernenden die Chance geben, auch an der Schule zusätzliche Kompetenzen für das Berufsleben aufzubauen. Der Pilot ist eine optimalere Vorbereitung auf den Arbeitsalltag.»
Das sehen auch einige Lernende so, die sich nicht von Anfang an freiwillig für den Pilotversuch gemeldet hatten. Fünf Lernende haben sich nachträglich für eine Teilnahme gemeldet.